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Eine Szene in der Nähe der Universität in Kairo: Ein Polizist und ein Anhänger der Muslimbrüder. Journalisten können die Behauptung von der "Zurückhaltung" der Sicherheitskräfte jedenfalls nicht bestätigen.

Foto: AP/Tallal

Wenn am Schluss der Verfilmung von Alaa al-Aswanis Der Jakubijan-Bau der zum radikalen Islamisten mutierte junge Taha den Polizisten, der ihn in der Haft vergewaltigt hat, umbringt, pflegt das ägyptische Kinopublikum zu applaudieren. Der Bestsellerautor Aswani war einer der schärfsten Kritiker des korrupten dekadenten Mubarak-Regimes. Er feierte den Umsturz im Februar 2011 – und gab nur ein paar Tage später dem Standard ein Interview, in dem er vor der "Gegenrevolution" warnte, die bereits im Gange sei. In den folgenden Monaten kritisierte er den "Sicherheitsstaat", der den Mubarak-Sturz überlebt habe, später wandte er sich scharf gegen den Muslimbruderpräsidenten Mohammed Morsi, den er mit Mubarak verglich.

Die Absetzung Morsis am 3. Juli durch die Armee unterstützt(e) Aswani bedingungslos. Donnerstag Mittag war sein zuletzt abgesetzter Tweet, dass sich alle Ägypter zusammentun sollten, um die von den Muslimbrüdern niedergebrannten Kirchen wiederaufzubauen, um der Welt das wahre Ägypten zu zeigen. Die Opfer der Sicherheitskräfte – keine echten Ägypter? – bereiten ihm weniger Kopfzerbrechen.

Nur wenige ägyptische Liberale haben realisiert, dass der Putsch am 3. Juli, obwohl er gegen eine intolerante Ideologie ging, sie selbst schwer beschädigt hat. Auf das dritte Lager – jene, die sagen, dass sie weder die Islamisten noch die Armee am Ruder haben wollen – werden mediale Hexen­jagden veranstaltet, und kaum
jemand erhebt für sie die Stimme.

Der Friedensnobelpreisträger und am Mittwoch zurückgetretene Vizepräsident Mohamed ElBaradei verkörpert die Tragödie der Liberalen wie kein anderer. Seine Aufgabe in der derzeitigen Regierung war es, der internationalen Gemeinschaft die Legitimität und sogar die Legalität des Vorgehens der Armee am 3. Juli zu erklären. Das lässt sich in der Tat argumentieren: Morsi war dabei, den Karren an die Wand zu fahren, es war Gefahr im Verzug. ElBaradei wollte aber nicht sehen, in wessen Dienste er sich für diese Aufgabe stellen musste: Spätestens als der neue starke Mann Ägyptens, General Abdelfattah al-Sisi, zu Massenkundgebungen aufrief, die ihm ein "Mandat" zum Aufräumen verleihen sollten, war klar, dass es nicht um gesellschaftliche Versöhnung ging.

ElBaradeis Aufruf zur Vermeidung von Gewalt wurde mit Häme und Drohungen beantwortet: Er sei "nicht besser als die Feinde", ein Hochverräter, ein Agent Amerikas. In der Tat ist sein Rücktritt eine Zurückweisung der Behauptung der Führung, die Sicherheitskräfte seien zurückhaltend vor­gegangen, und die Gewalt sei
nur von den Muslimbrüdern aus­gegangen.

Revolutionssprache

Die Kampagne gegen ElBaradei ging aber schon früher los: Ein Fernsehmoderator bezeichnete ihn vor einigen Tagen als Chef der Freimaurer und Zionisten. Wenn es nicht ganz so platt zuging, kam eine typische Revolutionssprache zum Einsatz: ElBaradei sei "lau", "widersprüchlich". Einer, der nicht einsehen will, dass die "Säuberung" der einzige Weg ist, ist ein Gegner der Revolution. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte. Dass den Herrschaften jedoch jedes Gefühl für politische Ästhetik fehlt, zeigt nicht zuletzt General Sisis Sonnenbrillenauftritt von Mittwoch. Die Leichenberge kann man sich dazudenken.

Selbstverständlich wird es in dieser ägyptischen Übergangsregierung und im neuen Apparat etliche geben, die über die Entwicklungen sehr unglücklich sind – die sie aber doch (noch) quasi als unvermeidlich mittragen wie den Putsch selbst. Sie werden weiter versuchen, der Weltöffentlichkeit nahezubringen, dass es lediglich um die Bekämpfung einer "terroristischen Organisation" gegangen ist. Und die wird ihnen weiter nicht glauben.  (Gudrun Harrer /DER STANDARD, 16.8.2013)