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"Es tut mir leid, dass mein Handeln den Vereinigten Staaten geschadet hat", liest Bradley Manning der Richterin Denise Lind vor. Noch steht nicht fest, für wie viele Jahre er ins Gefängnis muss.

Foto: Reuters

Dünn wie ein Strich sitzt Bradley Manning in einem schwarzen Kunstledersessel, er ringt mit sich, er muss sich zwingen, den Blick zu heben von dem Blatt Papier, das in seinen Händen zittert. Nach fast jedem Satz schaut er schräg nach oben, zu Oberst Denise Lind, der Richterin, die keine zwei Meter entfernt auf ihrer Empore über ihm thront. Er spricht hastig, man spürt, dass er es rasch hinter sich bringen möchte. "Als Erstes, Euer Ehren, will ich mit einer Entschuldigung beginnen", sagt er mit belegter Stimme. "Es tut mir leid, dass mein Handeln Menschen geschadet hat, es tut mir leid, dass es den Vereinigten Staaten geschadet hat."

Es ist das erste Mal seit langem, dass Manning das Wort ergreift hier, im kleinen Gerichtssaal der Militärbasis Fort Meade in Maryland, wo seit Juni gegen ihn verhandelt wird. Der Obergefreite hat amerikanisches Recht gebrochen und Geschichte geschrieben, als er Wikileaks 2010 über 700.000 Geheimdokumente der US-Regierung zuspielte. Seine Bewunderer feiern ihn als Helden, des Friedensnobelpreises würdig. Für seinen Anwalt David Coombs geht es nur noch darum, ihn als reumütigen Sünder zu porträtieren.

Lind hat Manning bereits schuldig gesprochen, nach dem Espionage Act, dessen Paragrafen 1917 aus Angst vor deutschen Spionen geschrieben wurden, doch entlastet hat sie ihn im gravierendsten Punkt – Hilfe für den Feind, sprich: für Al-Kaida. Offen ist noch, wie lange der 25-Jährige ins Gefängnis muss, für 13 oder 20 oder für 90 Jahre, das theoretische Höchstmaß.

Um die Richterin gnädig zu stimmen, lässt sein Advokat Familiengeschichten erzählen, Dramen eines "verdammt schweren Starts ins Leben", wie Mannings Tante Debra van Alstyne das Kapitel zusammenfasst. Auf den Bildern, die Coombs an eine Leinwand beamt, ist die Welt heil: Brad auf der Schaukel, Brad auf der Wiese, ein blonder Junge mit Engelsgesicht. Hinter der Fassade indes tun sich Abgründe auf, und Mannings Schwester Casey schildert sie so ungeschminkt, als tagte hier ein Therapiekreis.

Casey ist elf, als Brad geboren wird. Die Mannings leben in Crescent, einem gottverlassenen Nest in Oklahoma, am Ortsrand, weit weg von allen Nachbarn. Brian Manning, Computerexperte beim Autoverleih Hertz, versteht sich als Hobbyfarmer. Seine Frau Susan, im Gemeinschaftsgeist der walisischen Kohletäler aufgewachsen, kommt mit der Einsamkeit nicht zurecht und ertränkt ihren Kummer in Rum, Wodka und Bier, mittags ab zwölf, abends meist nicht mehr ansprechbar. Als Bradley zwölf ist, droht Brian die Familie zu verlassen. Susan nimmt eine Überdosis Valium, alarmiert dann aber doch ihre Tochter, die sie ins nächste Spital fährt. Da Brian sich weigert, auf der Rückbank des Autos die Atmung seiner Frau zu überwachen, muss Brad den Part übernehmen.

Nach der Scheidung seiner Eltern zieht er mit der Mutter nach Wales, dann zurück nach Oklahoma, zum Vater, was nicht gutgeht, weil Brians zweite Frau in Brad einen Störfaktor sieht. Die Armee, bei der er 2007 unterschreibt, soll ihm helfen, das alles hinter sich zu lassen. Außerdem soll sie, als Lohn für den Einsatz im Irak, sein Studium finanzieren. "Ich habe ihm von Anfang an abgeraten", sagt seine Tante. "So ein schmächtiger Kerl, ich dachte, die anderen würden ihn pausenlos hänseln."

Manning und das Militär als großes Missverständnis, so stellt es die Verteidigung dar. Im Herbst 2009 auf die vorgeschobene Operationsbasis Hammer bei Bagdad verlegt, als Computeranalyst hoher Geheimhaltungsstufe, reibt er sich an einer Welt, die der Armeepsychologe Michael Worsley mit dem Wort "hypermaskulin" beschreibt. Manning ist schwul, was man damals, anders als heute, bei den Streitkräften nicht zugeben durfte. Eines Tages schickt er Worsley, seinem Seelendoktor, im Camp, eine E-Mail mit dem Betreff "Das Problem". Das Foto, das er anhängt, zeigt ihn mit Langhaarperücke und geschminkten Lippen – er wäre lieber eine Frau.

Qualvolle Suche

Die qualvolle Suche nach der eigenen Identität, doziert Worsley, muss den Stress enorm verstärkt haben. David Moulton, ein Psychiater, der den Gefangenen später in einer Kaserne in Kansas untersucht, ergänzt die Diagnose um einen Punkt, "postpubertären Idealismus". Der junge Soldat habe die Welt verbessern, Kriege an sich aus der Welt schaffen wollen und seinen Einfluss extrem überschätzt.

"Ich frage mich, wie ausgerechnet ich, ein Analyst von niedrigem Rang, glauben konnte, dass ich die Welt zum Besseren ändern würde", liest Manning zerknirscht vom Blatt. Es ist der Kniefall, mit dem er auf Milde hofft – für seine Anhänger im Saal, die schwarzen T-Shirts bedruckt mit dem Wort "Wahrheit", hart an der Grenze der Demütigung. Damals, im Irak, habe er mit etlichen Problemen zu kämpfen gehabt, blendet Manning zurück. Er wolle sich ändern, studieren, zurückkehren auf einen produktiven Platz in der Gesellschaft. Denise Lind, bittet er, möge ihm diese Chance geben.  (Frank Herrmann aus Fort Meade /DER STANDARD, 16.8.2013)