Der Drang der Fußgänger auf die Fahrbahn der Mariahilfer Straße ist am Feiertag noch nicht recht ausgeprägt. Ab Freitag wird es interessant, wie friedlich sich die Verkehrsteilnehmer begegnen.

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Foto: Heribert Corn

Wien - Der Duft des Neuen wabert bis in das Zwischengeschoß der U-Bahn-Station Neubaugasse. Die undefinierbare Geruchsmischung aus Lack, Lösungsmittel und weichem Kunststoff begleitet einen auf der Rolltreppe zurück an die Oberfläche - das Herzstück der neuen Mariahilfer Straße.

Seit Mittwochabend ist die längste Einkaufsstraße Wiens zwischen der Kaiserstraße und dem Getreidemarkt unterteilt in Begegnungs- und Fußgängerzonen. Ein BMW mit Mistelbacher Kennzeichen schafft es zwar irgendwie, die Sperren zu umfahren, ist dann aber um 20.30 Uhr das letzte private Kraftfahrzeug, das legal die Shoppingmeile passiert hat.

Letzte Vorbereitungen

Bauarbeiter sind damit beschäftigt, die Schilder mit Fahrverbotstafeln und den Kennzeichnungen der Fußgängerzone von ihren Umhüllungen zu befreien. Ein anderer entlarvt sich als Geruchsproduzent. Er steht gebeugt über dem Asphalt, der mit einer Papierschablone abgedeckt ist, und sprüht das neue Verkehrszeichen für die "Begegnungszone" auf.

Ein Auto, ein Radfahrer, ein Fußgänger und ein 20-km/h-Tempolimit sind zu sehen. Der Kunststoffbelag kommt aus der Sprühdose, anschließend schüttet er aus einer anderen weißes Pulver darüber. "Das ist Glasgranulat, damit der Belag bei Regen nicht rutschig wird", erklärt er. Der seltsame Geruch sei ungefährlich, versichert er. "Wir müssen alle sechs Monate zum Arzt, aber es hat nie etwas gegeben."

Ein Stück weiter stadtauswärts Richtung Westbahnhof diskutiert ein älterer, bärtiger Passant mit zwei Polizisten, die die Absperrung bewachen. "Des kost jo a Schweinegeld. Und in zwa Joar wird eh wieda ois umbaut."

Abmahnungen statt Strafzettel

Im persönlichen Gespräch zeigt sich der junge Beamte etwas skeptisch, der Sinn des Umbaus erschließt sich ihm nicht ganz. Die Polizeiführung hat aber die Losung ausgegeben, in nächster Zeit keine Strafzettel für Fußgängerzonen-Fahrer oder Sackgassen-Ignorierer auszustellen, sondern lediglich Abmahnungen auszusprechen. Der Polizist glaubt, dass es speziell mit ausländischen Fahrern Probleme geben wird. "Die Navis brauchen ja immer Monate, bis neue Karten verfügbar sind."

Tatsächlich: Die Routenplanung von Google würde einen am Donnerstag auf der Fahrt zur Mariahilfer Kirche noch direkt in die Arme der Exekutive führen: Der Vorschlag ignoriert die nun geltenden Fahrverbote.

Fehlender Lärm

Donnerstagmittag ist neben dem Geruch noch etwas anderes auffällig: der fehlende Lärm. Man hört im Bereich Neubaugasse das Klatschen von Flipflops auf der anderen Straßenseite und Gesprächsfetzen aus dem Gastgarten des Eissalons Bortolotti. "Ungewohnt" sei die Autolosigkeit, sagen zwei junge Frauen - tatsächlich bewegt sich die überwiegende Mehrheit der Fußgänger noch auf den breiten, schattigeren Gehsteigen.

Fahrende Sollbruchstelle

Was in dem Bereich zwischen Neubau- und Kirchengasse wohl keine schlechte Idee ist. Fährt hier doch eine der Sollbruchstellen des Konzeptes: die Buslinie 13A. Alle sieben Minuten biegt am Feiertag eines der Gefährte ein und benutzt die breite, rot bemalte Busspur in der Mitte. Was passiert, wenn die Flanierlust die Menschen künftig in die Straßenmitte treibt, bleibt abzuwarten.

Der Wille von Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, für weniger Autoverkehr zu sorgen, hat übrigens einen wohl ungewollten Nebeneffekt: Die Stromtankstelle vor dem Wien-Energie-Haus wird keine E-Autos mehr mobil machen. Sie liegt mitten in der Fußgängerzone. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 16.8.2013)