Rechtspopulist Christoph Blocher in Jean-Stéphane Brons Dokumentarfilm.

Foto: frenetic
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Wie porträtiert man einen Rechtspopulisten? Wie befasst man sich mit einem Mann, der es versteht, seine Zuschauer mit Worten und Gesten auf seine Seite zu ziehen? Diese knifflige Frage bewegt Jean-Stéphane Brons couragierten Dokumentarfilm L'éxperience Blocher, der Christoph Blocher, den Schweizer Milliardär und Gründer der SVP, der Schweizerischen Volkspartei, noch zu Lebzeiten in den Mittelpunkt rückt.

Gleich zu Beginn gibt Bron mit einem Gottfried-Keller-Zitat, das auch Blocher schon verwendet hat, die Richtung vor: Der Kern jeder Fabel sei nicht deren Wahrheitsgehalt, sondern deren Sinn. Für den Kritiker bedeutet dies etwas anderes als für den Politiker: Wo Letzterer einen Mythos für seine Zwecke instrumentalisiert, muss der Filmemacher dessen Funktionalität in Frage stellen. Nur so lässt sich herausfinden, warum die Geschichte von der wehrhaften Schweiz, die Blocher seiner Wählerschaft verkauft, so wirksam ist.

Brons distanzierte, durchaus von Respekt getragene Annäherung an das Phänomen Blocher ist von einer entscheidenden Idee getragen: Er begleitet den Politiker, so wie es ein Vertreter des Cinema vérité wohl noch getan hätte, auf kaum eine Bühne, sondern beschränkt sich weithin auf das Innere einer Limousine. In dieser Blackbox, die an David Cronenbergs Cosmopolis erinnert, kurvt der Politiker auf Wahlkampftour durch die Schweiz. Interviews führt Bron nur am Rande – hauptsächlich sieht er Blocher dabei zu, wie er konzentriert seine Reden im Kopf durchgeht, dazwischen Französisch-Übersetzungen mit seiner Frau überarbeitet oder telefoniert. Nach jedem Auftritt kehrt er wie ein Sieger in das Auto zurück. Sein Blick ist in diesen Momenten wach, das Gesicht verjüngt, die Aufregung des Massenbads umhüllt ihn wie eine Aura.

Natürlich holt Bron auch die ungewöhnliche Laufbahn Blochers ein, der es als Sohn eines deutschen Pfarrers zu einem der erfolgreichsten Unternehmer gebracht hat. Er weiß aber auch, dass diese Erfolgsgeschichte den Volkstribun nicht hinreichend erklärt. In Off-Kommentaren, die den ganzen Film durchziehen, beginnt Bron die Lücken zu füllen, seinen eigenen „Mythos" um die Beweggründe dieses Mannes zu erdichten. Das birgt die Gefahr der Missinterpretation. Das Ende ist dann auch wie ein Zitat aus Orson Welles' Citizen Kane: Blochers "Rosebud" ist ein kleines, umzäuntes Friedhof-Gärtchen nahe dem Haus, in dem er aufgewachsen ist. Ein Bild, banal und viel sagend zugleich.

Heute Abend wird L'éxperience Blocher, in Anwesenheit des Protagonisten, auf der rund 7000 Sitze umfassenden Piazza Grande des Filmfestivals von Locarno gezeigt. Danach wird man wissen, ob Brons kritischer Blick oder Blochers Raffinesse beim Publikum mehr überzeugt hat. (Dominik Kamalzadeh, derStandard.at, 13.8.2013)