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"Meditieren ist, als drücke man beim Computer die Reset-Taste"

Foto: APA/Karl-Josef Hildenbrand

Als der Psychiater und Neurowissenschafter Richard Davidson 1992 den Dalai Lama traf, kam er auf eine Idee. Mit Kernspin oder Elektroenzephalogramm, mit denen er sonst das Hirn bei Menschen mit Angstattacken oder Depressionen untersuchte, könnte man doch auch schauen, was sich im Hirn von Gesunden verändert. Vielleicht würde man so herausfinden, was den einen glücklich und gesund macht und wie sich das in der Therapie von Krankheiten einsetzen ließe. Davidson gründete das Center for Investigating Healthy Minds an der Uni Wisconsin und startete seine Untersuchungen - unterstützt vom Dalai Lama, der ihm Kontakte zu buddhistischen Mönchen vermittelte.

Fasziniert sah Davidson in der Kernspintomografie, dass beim Meditieren Nervenzellen in bestimmten Hirnregionen weniger aktiv waren, und zwar umso mehr, je erfahrener die Mönche im Meditieren waren (Proceedings of the National Academy of Sciences 2007). Meditieren ändert Strukturen im Kopf. Das Gehirn lasse sich wie ein Muskel trainieren, schloss der Neurowissenschafter.

"Meditation kann bei vielen psychiatrischen und körperlichen Krankheiten helfen", so der Psychiater Alberto Chiesa von der Uni Bologna. Andreas Remmel, Primarius des Psychosomatischen Zentrums in Eggenburg, rät Patienten mit Depressionen, Angstattacken oder chronischen Schmerzen zu Meditation. "Das Wichtigste für Betroffene ist, sich von Beschwerden nicht beherrschen zu lassen." Studien geben ihm recht: Bei Patienten, die immer wieder unter Phasen von Depressionen litten, traten die Schübe seltener auf, wenn sie zusätzlich zu Medikamenten und Psychotherapie meditierten (Journal of Consulting and Clinical Psychology 2000; Band 68, S. 615). Bei Angststörungen oder Panikattacken konnte Meditation die Symptome besser lindern als Verhaltenstherapie oder Medikamente alleine.

Bei Rückenschmerzen haben Forscher vom Institut für Komplementäre Medizin der Uni Düsseldorf gezeigt, dass sich die Beschwerden mit Meditation zumindest kurzfristig lindern lassen (BMC Complementary and Alternative Medicine 2012, Band 12, S. 162). Bei Patienten mit chronischen Muskel- und Gliederschmerzen, wie etwa Fibromyalgie, besserten sich Stimmung und Lebensqualität. Bei vielen hielten die Effekte noch nach drei Jahren an. Auch Patienten mit Rheuma fühlten sich nach Meditation wohler als nach Verhaltenstherapie, vor allem bei denjenigen mit zusätzlich schwerer Depression besserten sich auch die Schmerzen.

Eine Art Neustart

Bei Arthrose scheint Meditation dagegen eher nicht zu helfen. Menschen mit Krebs leiden nicht nur unter Schmerzen, sondern häufig auch unter Depression und Angst. Bei Bluthochdruck sank der Druck durch Meditation ähnlich wie durch körperliches Training. Bei Mädchen mit Essstörungen besserte sich das Essverhalten, und sogar bei Schuppenflechte, multipler Sklerose und HIV hatte Meditation Effekte.

"Meditieren ist, als drücke man beim Computer die Reset-Taste", sagt Andreas Michalsen, Professor für Naturheilkunde am Uniklinikum Charité in Berlin. Die Einstellung zum Leben ändert sich, der Geist wird "heruntergefahren". Dabei sei es nicht so wichtig, welche der Meditationstechniken man anwende. "Hauptsache regelmäßig." Studien haben nämlich gezeigt, dass sich dann zahlreiche Körperfunktionen verbessern, etwa Herzschlag und Atmung langsamer und weniger Stresshormone ausgeschüttet werden. Und nicht nur die Aktivität der Nervenzellen ändert sich, sondern auch die graue Substanz, also die Nervenzellen im Gehirn, nimmt in bestimmten Regionen zu.

Ideal zum Einstieg findet Psychosomatiker Remmel die aufmerksamkeitsfokussierende Meditation. Dabei konzentriert man sich auf den Atem oder einen realen Gegenstand wie eine Kerze. Beim "Meditieren für Fortgeschrittene", der Einsichts-Meditation, konzentriert man sich oft auch zunächst auf ein Objekt. Kommen dann andere Gedanken oder Gefühle wie Trauer, Schmerz oder Freude, schiebt man sie aber nicht beiseite, sondern betrachtet sie wie durch eine Kamera: Detailliert, aber distanziert. "Das ist wie vom Strand aus den Wellen zuschauen, aber selbst nicht darin versinken", erklärt Remmel. Spürt ein Schmerzpatient eine "Schmerzwelle" auf sich zukommen, kann er sie sich bewusst machen: Die Welle kommt, aber sie wird auch wieder gehen. Der dritte Schritt: sich und dem eigenen Leiden mit Wohlwollen begegnen. Das heißt: den Schmerz akzeptieren, wissen, das er vorübergehend und nicht lebensbestimmend ist.

Skepsis sei aber angebracht, sagt Michalsen von der Berliner Charité, etwa bei Studien, die Effekte mit Nichtmeditierenden vergleichen und nicht mit der Standardtherapie. In so einer Vergleichsstudie fand Remmel heraus, dass sich Angst, Depressionen und psychosomatische Probleme genauso durch Musik- oder Bewegungstherapie beeinflussen lassen. Nun will er herausfinden, wer von welcher Behandlung am meisten profitiert. "Meditation kann eine gute Ergänzung sein", sagt Michalsen. Harmlos sei sie aber nicht, denn bei akut psychiatrischen Krankheiten könne sich der Zustand von Patienten auch verschlechtern. (Felicitas Witte, DER STANDARD, 23.8.2013)