Die unerwarteten Turbulenzen und verblüffenden Wendungen in der tschechischen Innenpolitik bestätigen wieder einmal die Warnung des britischen Denkers Isaiah Berlin, die Geschichte sei "nicht als eine Autobahn ohne Abfahrten" anzusehen: "In entscheidenden Augenblicken, an Wendepunkten (...) kann jeder Zufall, können Individuen mit ihren Entscheidungen und Handlungen, die ihrerseits nicht unbedingt vorhersagbar sind, die sogar selten vorhersagbar sind, den Lauf der Geschichte bestimmen." Diese Situation erlebt nicht nur die tschechische, sondern sogar die europäische Öffentlichkeit seit dem Amtsantritt des ersten direkt gewählten tschechischen Staatsoberhaupts, des 68-jährigen trinkfreudigen, mit allen Wassern gewaschenen Linkspopulisten Miloš Zeman.

Die Geschichte, anfangs eine Burleske um einen verliebten Ministerpräsidenten, dessen attraktive Kabinettchefin nach Belieben schalten und walten durfte, könnte sich letzten Endes als eine tragische Weichenstellung für die Zukunft der tschechischen Demokratie entpuppen. Seit der Wende vor fast einem Vierteljahrhundert ist es noch nie aufgetreten, dass ein Präsident sich über den Willen der Legislative hinwegsetzt. Die Korruptionsaffären und die ständigen Querelen innerhalb der diskreditierten konservativen Regierung haben günstige Bedingungen für den Griff Zemans nach der Exekutivmacht durch die Ernennung seines Erfüllungsgehilfen Jiří Rusnok zum Premier geschaffen. Zugleich gelang es dem autoritär handelnden Staatschef, seine frühere Partei, die Sozialdemokraten, zu spalten. Seine persönlichen Beweggründe hat der tschechische Kommentator Martin Ehl überzeugend geschildert (der Standard, 10. 8.).

Die meisten Beobachter glauben, dass es Zeman gelingen wird, nach vorzeitigen Parlamentswahlen ein linkes Machtkartell aus den Sozialdemokraten, Kommunisten und seiner bei den letzten Wahlen gescheiterten Zwergpartei der Bürgerrechte (SPOZ) zu zimmern. Sein Ziel bleibt zweifellos, nach dem Zerfall der bisherigen Parteienstruktur den Ausbau einer Präsidialrepublik zu beschleunigen.

Die blitzschnelle Ablöse von 97 wichtigen Beamten durch eine von oben eingesetzte und nicht durch eine parlamentarische Mehrheit getragene Regierung in Prag und die Maßregelung dreier unabhängiger kritischer Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks liefern die Beweise dafür, dass bei der Flurbereinigung in den Machtstrukturen linkspopulistische Politiker ebenso skrupellos vorgehen können wie ihre rechtspopulistisch agierenden Kollegen in anderen postkommunistischen Staaten.

Die Entwicklung seit dem Beitritt von zehn mittel- und südosteuropäischen postkommunistischen Staaten zur Europäischen Union und seit dem Ausbruch der internationalen Wirtschaftskrise zeigt, dass sich eine Zivilgesellschaft nicht von außen einführen lässt. Die Erfahrungen mit den "starken Männern" in Ungarn und in der Slowakei, in Kroatien und Bulgarien zeigen immer wieder, dass die auf allen Ebenen wuchernde Korruption, gekoppelt mit einer ineffizienten und oft von der Politik abhängigen Justiz, überraschend schnell die noch schwachen Kontrollmechanismen einer relativ jungen Demokratie aushöhlen könnte. (DER STANDARD, 13.8.2013)