Laurent Millischer: Obwohl die SPÖ derzeit in allen Umfragen den ersten Platz belegt, ist es nicht garantiert, dass sie die Wahl auch gewinnt.

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Die Parteien haben mit dem Plakatwahlkampf begonnen, Spitzenkandidaten blicken grinsend auf uns herab. In den nächsten sechs Wochen wird es in Österreich Wahlumfragen hageln. Noch nie gab es hierzulande eine so üppige Produktion politischer Meinungsforschung. Schon im nationalratswahllosen Jahr 2012 wurde durchschnittlich alle fünf Tage eine bundesweite Umfrage veröffentlicht. In den Wochen vor dem 29. September 2013 wird fast täglich eine erscheinen.

Zwei Grundtypen der Umfragen-Rezeption

Jeder von uns geht unterschiedlich mit dieser Zahlenflut um. Generell gibt es zur Einordnung der Rezeption von Umfragen zwei Grundtypen:

1. Der Enthusiast: Jede veröffentlichte Umfrage macht ihn wild. Er lechzt nach Zahlen. Erscheint eine neue Umfrage, sind alle alten vergessen. Ein Prozentpunkt im Plus ist für ihn ein Höhenflug – ein halber im Minus ein Stimmungstief. Er hat für jede, noch so kleine Entwicklung eine politische Erklärung parat und kennt den Gewinner der Wahl Monate im Voraus.

2. Der Nihilist: Wahlumfragen lassen ihn kalt. Seine Geringschätzung für Meinungsforscher ist kein Geheimnis: "Politvoodoo" und "Zahlenspielchen" hört man ihn oft mäkeln. Er kennt alle historischen Fehleinschätzungen und meint, es sei demokratieschädigend, die öffentliche Debatte mit sechs bunten Balken darzustellen. Nicht einmal ignorieren ist sein Motto.

Auch wenn ich der Kritik des Nihilisten ansatzweise etwas abgewinnen kann, finden ich es nicht zielführend, ein so breites Medienphänomen leichtfertig abzutun. Gerade, weil Wahlumfragen so viel Aufmerksamkeit erhalten und auch auf das Wahlverhalten einen gewissen Einfluss haben, steht ihnen eine differenzierte Analyse zu.

Mit dem Enthusiasten habe ich gemein, dass mich jede einzelne Umfrage interessiert. Nicht so sehr die genauen Prozentsätze, jedoch die Anzahl der befragten Personen, der Auftraggeber, der Umfragezeitraum, das Meinungsforschungsinstitut - das gesamte Drumherum.

Was die User erwartet

In diesem Blog liefere ich bis zur Nationalratswahl Hintergrundinformation zu den Methoden und Publikationen der österreichischen politischen Meinungsforschung. Was kann eine Wahlumfrage und was kann sie nicht? Welche Kriterien sind ausschlaggebend für die Qualität einer Umfrage? Was ist eine Schwankungsbreite und wovon hängt sie ab?

Außerdem berechne ich mit meinen Kollegen von "wahlfang.at" täglich, ausgehend von einer Datenbank mit knapp 600 bundesweiten Umfragen seit 1999, einen Mittelwert aller aktuell veröffentlichten Umfragen und erkläre, wie dieser funktioniert.

Die aktuelle politische Stimmung

Einen ersten Vorgeschmack, welche konkreten statistischen Wahrscheinlichkeiten sich berechnen lassen, zeigt die untenstehende Grafik. Darin sind die Ergebnisse und Schwankungsbreiten der bisherigen Umfragen als Wahrscheinlichkeitsverteilung dargestellt. Für jede Partei zeigt der höchste Punkt der Kurve den wahrscheinlichsten Wert an. Umso größer die Schwankungsbreiten, umso breiter und flacher die Verteilung.

Obwohl die SPÖ derzeit in allen Umfragen den ersten Platz belegt, ist es nicht garantiert, dass sie die Wahl auch gewinnt. Wenn man die Schwankungsbreiten berücksichtigt, hätten die Sozialdemokraten aktuell eine 86prozentige Chance auf den Wahlsieg.

Diese Zahl ist ein erster Appetithappen - Details zur Methodik solcher Prognosen werden in den kommenden Blogbeiträgen beschrieben. Ich freue mich auf eine spannende Diskussion mit der derStandard.at-Community, Anregungen und Fragen aus den Kommentaren werden gerne angenommen. (Laurent Millischer, derStandard.at, 15.8.2013)