Bild nicht mehr verfügbar.

Das gute Leben statt der Gier nach Geld, empfehlen nun Robert Skidelsky und Sohn Edward.

Foto: EPA/Yongrit

Wieviel ist genug für ein gutes Leben? Und was ist ein gutes Leben? Gemeinhin würde man die Antwort auf diese Fragen in der Philosophie verorten Doch aus gutem Grund beschäftigen sich seit geraumer Zeit auch Ökonomen mit dem fächerübergreifendem Stoff. Die Frage, ob das BIP-Wachstum relevante Aussagen zu Wohlstand und Wohlbefinden treffen kann, wurde in jüngerer Vergangenheit heftig diskutiert.

Robert und Edward Skidelsky - der Vater Ökonom und Keynes-Biograf, der Sohn Philosoph - packen das Thema in einem Buch von beiden Seiten an und halten auch mit politischen Implikationen nicht zurück. Was die beiden Universitätsprofessoren antreibt, sagen sie in ihrem Druckwerk "Wie viel ist genug?" eingangs gleich unverblümt: "Dieses Buch ist eine Kritik der Unersättlichkeit", so lautet der programmatische erste Satz. Es richtet sich gegen ökonomische Unersättlichkeit, den Wunsch nach immer mehr Geld und ziele vor allem auf den reichen Teil der Welt, so die Autoren.

Zweischneidiges Schwert Kapitalismus

Nun mag man sich fragen, was genau unersättlich bedeutet? Geht es nach Vater und Sohn Skidelsky, ist das einfach zu erklären: Wenn der Überfluss der sehr Reichen der Lebensweise der breiten Masse sehr weit enteilt. Ein weiteres Buch, das den Kapitalismus für tot erklärt? Mitnichten. Einerseits habe er enorme Verbesserungen der materiellen Lebensbedingungen ermöglicht, andrerseits habe er einige der hässlichsten, menschlichen Eigenschaften wie Gier, Neid und Geiz verklärt.

Wachstum? BIP-Wachstum? Schön, gut und richtig. Doch nun gelte es zu fragen, was genau wachsen solle und vor allem warum, schlagen Skidelskys vor und tischen der Leserschaft jede Menge Diskussionsstoff auf.  Wer das Buch liest, lernt etwa, dass schon Ökonom John Maynard Keynes 1930 in dem kleinen Aufsatz "Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder" eine Vision hatte: Weil der technische Fortschritt eine Steigerung der Produktion pro Arbeitsstunde ermöglicht, müssten die Menschen immer weniger arbeiten, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Schließlich müssten sie kaum noch arbeiten.

Begierden statt Bedürfnisse

Dann, so schrieb Keynes, werde der Mensch zum ersten Male seit seiner Erschaffung ( ... ) vor seine wirkliche Aufgabe gestellt sein: wie er seine Freiheit von drückenden, wirtschaftlichen Sorgen nutzt, wie er seine Muße ausfüllt, die Wissenschaft und Zinseszins für ihn gewonnen haben, damit er weise, angenehm und gut leben kann". Keynes dachte, dieser Zustand könnte innerhalb von 100 Jahren erreicht werden – also im Jahr 2030. Dass der Ökonom nicht Recht behalten hat, ist bekannt. Warum das so ist, erklären die Skidelskys so:  Die Arbeitgeber diktieren die Arbeitsstunden und Arbeitsbedingungen.

In den vergangenen Jahrzehnten ist zwar das Durchschnittseinkommen stark gestiegen, aber das Medianeinkommen (der Wert, bei dem es genauso viele Menschen mit einem höheren wie mit einem niedrigeren Einkommen gibt, Anm.) nur leicht. Viele Geringverdiener können es sich gar nicht leisten, ihre Arbeitszeit weiter zu reduzieren. Darüber hinaus beflügle die Marktwirtschaft unsere Neigung, uns im Konsum von Statusgütern zu übertrumpfen, am Ende also Begierden zu befriedigen und nicht nur Bedürfnisse wie Nahrung, Gesundheit, Sicherheit. Die Menschen streben nicht nach einem absoluten Vorteil, sondern nach einem relativen, weshalb die Eskalation der Einkommen nie endet, schließen die Autoren.

Wozu ist Reichtum da?

Daran schließt die nächste Frage an: Wozu ist Reichtum da? "Geldverdienen", so heißt es, "kann kein Selbstzweck sein, nicht für jemand, der noch ganz bei Verstand ist." Genau genommen wäre das so, als ob man beim Essen sagen würde, Ziel sei es, immer dicker zu werden. Das gelte für einzelne Menschen ebenso wie für ganze Gesellschaften. Wir könnten ohnedies nicht immer mehr ausgeben, ohne überdrüssig und saturiert zu werden.

Dass der Kapitalismus derzeit auf dem Prüfstand steht, ist nicht neu. Auch von den Systemfehlern war schon viel die Rede. Jetzt, wo viele den Überfluss haben, ihn aber ganz offensichtlich nicht genießen können, sei die Zeit reif, über bessere Arten der Lebensorganisation nachzudenken, finden die Autoren und heben die alte Idee von der Wirtschaftswissenschaft als moralischer Wissenschaft aus: Das maßvolle Leben, das gab es bereits, wie die Autoren kenntnisreich ausführen. Dass der Mensch den Hals nicht vollbekommt, wussten schon die Alten. Ausgepackt werden die Traditionen der praktischen Philosophie, unter anderem der aristotelischen und später thomistischen Vorstellungen von der notwendigen Beschränkung des wirtschaftlichen Verhaltens. John Maynard Keynes wird für die jüngere Vergangenheit ebenso bemüht, wie die Vertreter der deutschen "Sozialen Marktwirtschaft".

Überwindung des Liberalismus

Die Überwindung des Liberalismus und die Rückkehr zu alteuropäischer Idealität, zur Selbstbescheidung und zum Leben mit Maß und Ziel, dafür sei die Zeit jetzt reif, sind die Herren überzeugt. Dass die ältere, von den Skidelskys beschworene Welt für die Oberschichten ein rosigeres Leben als für die Masse bereithielt, bleibt allerdings auch nicht unerwähnt.

Die Frage ist ohnedies, wie man zum guten Leben, das schon Keynes sich so gut vorstellen konnte, kommt? Blauäugig sind die Autoren nicht. Arbeitslosigkeit und öffentliche und private Schulden müssten abgebaut werden. Daran führe kurzfristig kein Weg vorbei. Und natürlich gelte es, jenen Ländern, in denen Millionen Menschen nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf haben, ihr Recht auf Wachstum zuzugestehen.

Menschlichere Organisation

Allen anderen empfehlen Skidelskys leiser zu treten. Um was zu tun? Gesundheit, Sicherheit, Respekt, Persönlichkeit und Harmonie mit der Natur und Freundschaft stünden nun zu Gebote. Eine andere, menschlichere Organisation der Wirtschaft würden sie sich wünschen. Wenn auch nicht durch Zwang, so doch durch die kräftige Unterstützung des Staates: Verkürzung der Arbeitszeiten, eine progressive Ausgabensteuer soll die progressive Einkommensteuer ersetzen, um den Statuskonsum zu vermindern.  Unternehmen sollen Werbung nicht mehr von der Steuer absetzen können, damit weniger Status-Begierden künstlich geweckt werden. Jeder Bürger soll ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten, als einmaligen Betrag im Alter von 30 Jahren, um den Arbeitsanreiz zu vermindern und Muße attraktiver zu machen.  Angesichts des erreichten Wohlstands sei das finanzierbar, im Interesse von Menschheit und Umwelt wünschenswert, betonen die Autoren.

Auch wer den Schlussfolgerungen von Robert und Edward Skidelsky nicht folgen kann oder will,  bekommt eine unterhaltsame und kenntnisreiche Lektüre serviert. Der anregende Inhalt: Wie führende Denker von der Antike bis ins 21. Jahrhundert über Entstehung und Gebrauch des Reichtums, aber auch über ein erfülltes Leben jenseits der Arbeit nachgedacht haben. (derStandard.at, 12.8.2013)