"Ich bin ein ziemlich natürlicher Theatermann. Aber jede Produktion ist anders. Man muss sich immer die Frage stellen, für welches Publikum man arbeitet." Dirigent Antonio Pappano.

Foto: EMI

STANDARD: Sie sind ein Grenzgänger zwischen zwei musikalischen Kulturen, Italien und England. Was aus diesen zwei Ländern ist denn für Sie entscheidend?

Pappano: Es sind eigentlich sogar drei Kulturen, weil ich ab dem Alter von 13 Jahren in den USA aufgewachsen bin. Das ist eine komische, aber schöne Mischung. Natürlich hat die italienische Seite mit Stimme und Oper zu tun, mein Vater war Gesangslehrer. Aber von Anfang an hatte ich das tiefe Bedürfnis, ein guter Musiker zu sein - und nicht nur schnell Klavier spielen zu können. Die Mischung und Balance ist das Entscheidende. Diese zwei Kulturen sind manchmal in Konflikt und manchmal miteinander tief verbunden. Ich liebe Sprachen und bin gegenüber anderen Kulturen offen, das heißt auch für das Repertoire. Da gibt es keine Grenzen. Wenn man deutsche oder französische Opern erarbeitet, muss man die Sprache gut verstehen.

STANDARD:  Sie haben kulturelle Konflikte angesprochen. Italienische Oper hat in England eine lange Tradition, zugleich galten britische Musiker lange als kühl und verkopft.

Pappano: Das ist für mich der entscheidende Punkt, wie man gleichermaßen mit dem Herz und dem Kopf Musik macht. Ich denke, man kann auch mit dem Ausdruck sehr präzis sein. Musikalischer Ausdruck ist kein Tomatenketchup, das über das ganze Stück gegossen wird, sondern hat mit hunderten Dingen zu tun. Bin ich ein verrückter extrovertierter Italiener oder ein reservierter geheimnisvoller Engländer? Das ist schon ein Lebensthema für mich, genauso wie die Balance zwischen Oper und Symphonik. Es hat mich sehr viel Zeit gekostet, hier einen gewissen Ausgleich zu finden.

STANDARD:  Ist es nicht auch eine Frage der Energie, zwischen diesen beiden Gattungen zu wechseln? Sie haben es da ja auch mit ganz verschiedenen Arbeitsprozessen und Zeitverläufen zu tun.

Pappano: Symphonik ist für mich wie ein Spiegel, ein Spiegel von mir selber. Technisch ist es leichter, weil da alle auf den Dirigenten schauen, aber es ist viel schwerer, die wirkliche Tiefe und Bedeutung der Musik herauszuholen. In der Oper muss man eher Kompromisse machen.

STANDARD:  Sie interpretieren nun bei den Salzburger Festspielen mit dem "Don Carlo" eine der tiefgründigsten, bedeutungsvollsten Verdi-Opern. Sind da auch Kompromisse nötig?

Pappano: Ich habe diese Oper ja schon ziemlich oft dirigiert, vor kurzem auch in London. Jedes Mal, wenn ich mich mit dem Stück befasse, habe ich auch mit den unterschiedlichen Versionen zu tun. In London haben wir die fünfaktige italienische Fassung gemacht, in Salzburg kommen zusätzlich Szenen aus der ursprünglichen französischen Fassung dazu - etwa der erste Chor oder das "Lacrimosa" nach dem Tod Posas, ein paar Sachen hier und da.

STANDARD: Wie kommen diese Entscheidungen zustande?

Pappano: Wenn man bedenkt, dass es allein beim Duett zwischen Philipp und Posa vier Versionen gibt, muss man sich natürlich fragen, was Verdi wirklich meinte. Das ist nicht so eindeutig, und das gibt uns eine gewisse Freiheit, zumindest darüber nachzudenken, was man machen kann.

STANDARD:  Sie gehen also von der Deutung des Werks aus und entscheiden dann, welche Lösung am besten dazupasst?

Pappano: Ja, genau. Zum Beispiel ist die erste Szene wichtig, weil man dann Elisabeth schon kennt und auch das Volk, das bei Verdis Opern immer eine sehr wichtige Rolle spielt. Und auch Elisabeths Beziehung zum Volk hat eine große Bedeutung. Erst dann versteht man, wie es weitergeht (Anm., Elisabeth heiratet aus Staatsräson nicht ihren Geliebten Don Carlo, sondern König Philipp).

STANDARD:  Wer ist denn bei dieser Produktion der Machtvollere, Regisseur Peter Stein oder Sie als Dirigent? Bei einem Stück wie diesem ist das vielleicht keine ganz unwesentliche Frage.

Pappano: Keine Ahnung. Hören Sie mal: Ich bin ein ziemlich natürlicher Theatermann. Aber jede Produktion ist allerdings anders, und jedes Mal muss man den richtigen Weg finden. Das Wichtigste ist jedenfalls, gemeinsam mit den Sängern das Stück zu erarbeiten.

STANDARD:  Inwieweit denken Sie denn bei einer solchen Produktion auch an das jeweilige Publikum, das Sie erwartet?

Pappano: Man muss sich immer wieder die Frage stellen, für welches Publikum man arbeitet. Das ist eine Frage des Gefühls, aber wenn wir jetzt nicht in Salzburg wären, sondern in London, Paris oder Berlin, würde man instinktiv anders arbeiten. Das ist ganz natürlich in der Theaterwelt, aber man muss stets versuchen, intelligent damit umzugehen.     (Daniel Ender, DER STANDARD, 10./11.8.2013)