Geradezu vergebungssüchtiger Herrscher Tito, intensiv gesungen und dargestellt von Carlo Allemano.

Foto: Innsbrucker Festwochen / Rupert Larl

Innsbruck - Selten, aber doch wird der Gang der Geschichte von der unzuverlässigen Gesellin Gerechtigkeit begleitet. Mitglieder von Königshäusern etwa werden heutzutage von einer demokratisch organisierten Gesellschaft zur allgemeinen Belustigung in ihren Schlössern gehalten wie in luxuriösen Käfigen. Brechen sie aus, werden sie von Millionen von Fotohandys ins Visier genommen oder von den professionellen Jagdgehilfen der Öffentlichkeit, den Paparazzi, abgeschossen.

Früher war alles genau umgekehrt. Da ließ der König ins Visier nehmen, hängen oder erschießen. Er konnte aber natürlich auch zur Abwechslung mal gönnerhaft sein und ein bisschen begnadigen. Trat er sein Amt an, wurde so einem Allesdürfer prophylaktisch gehuldigt - wie etwa Leopold II., als er 1791 zum König von Böhmen gekrönt wurde. Da komponierte Wolfgang Amadeus Mozart im Auftrag der böhmischen Stände schnellschnell eine Oper über den römischen Kaiser Titus. Denn der sollte so gewesen sein, wie man sich den neuen Herrscher wünschte: milde.

Und nachsichtig, ja geradezu vergebungssüchtig ist Tito im Libretto von Pietro Metastasio und Caterino Mazzolà. Die junge Servilia schlägt seinen Heiratsantrag aus? Kein Problem. Vitellia, die Tochter des von ihm entthronten Kaisers Vitellius, hat jemanden zum Mord an ihm angestiftet? Was soll's? Und dieser Jemand ist auch noch Sesto, sein Busenfreund, sein ehemaliger Lustknabe, die Liebe seines Lebens? Da muss erst recht verziehen werden - er wird's schon nicht so gemeint haben.

Diese (zehnte) Szene im zweiten Akt der Oper wird zur intensivsten in der Inszenierung von Christoph von Bernuth, dem Operndirektor der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. Sesto müht sich ab in diesem langen Infight der Barmherzigkeit. Toll, wie intensiv Kate Aldrich das Ringen, das Widerstehen Sestos ausdrückt - vokal wie auch darstellerisch. Carlo Allemano steht ihr als Tito in nichts nach, vermittelt Intimität und Leidenschaft mit einer Intensität à la Rolando Villazón und einem Timbre mit einem Hauch Placido Domingo.

In jeder Hinsicht fantastisch Nina Bernsteiner als fanatisch rächende Vitellia; ihr klar gefasster Sopran verleiht dem verwöhnten dottergelben Prinzesschen vokale Exzellenz. Eine charmante Petitesse in Türkis ist Dana Marbachs Servilia, deren Lover Annio verleiht Ann-Beth Solvangs dichter, körperlicher Mezzo quasimännliche Autorität. Nobel schwarz der Publio von Marcell Bakonyi.

Dunkel und brummig

Ziemlich dunkel und brummig klingen die Secco-Rezitative in Innsbruck: Alessandro De Marchi lässt die von Franz Xaver Süßmayr verfassten Werkteile nicht vom Hammerklavier, sondern, seinerzeit anscheinend auch üblich, von Cello und Kontrabass begleiten. Mitunter rankt sich Ersteres apart mit Harmoniematerial um den Grundton des großen Bruders, mitunter klingt die Unternehmung nur zerrupft und löchrig.

Ein Gewinn hingegen die drei farbigen, lebendigen Tito-Arien und das Duett Tito/Sesto von Mozarts Assistenten Joseph Weigl und Johann Simon Mayr - man präsentiert in Innsbruck interessanterweise die Pasticcio-Fassung des Kärntnertortheaters von 1804, die seinerzeit in Europa à la mode war. Mozarts im Seria-Stil gehaltene Tito-Arien wurden als altmodisch empfunden, und ein Kunstwerk war damals - glückliche Zeiten? - noch kein Rühr-mich-nicht-an-Heiligtum.

Die Personenführung gelingt von Bernuth exzellent; die Szenenbilder, die er für Mozarts Opera seria findet, sind hingegen öde, steif und grau; stimmungsvoll lediglich das Bild der Zerstörung im zweiten Akt (Bühne und Kostüme: Oliver Helf). Und wenn Regiestudenten erleben wollen, wie man Chor und Statisterie so führt, dass es unglücklicher, bizarrer kaum möglich ist, dann müssen sie nach Innsbruck pilgern. Deutlich frischer, nuancierter, unterhaltsamer gerät zum Glück das Tun des Orchesters und des Chors (Leitung: Claudio Chiavazza). Alessandro De Marchi animiert die Mitglieder der Academia Montis Regalis zu frischem, nuanciertem, unterhaltsamem Musizieren. Lautstarke Begeisterung.  (Stefan Ender, DER STANDARD, 9.8.2013)