Die Forderung einer Bildungspflicht bis 18 Jahre anstatt der bisherigen Schulpflicht bis 15 zeigt einmal mehr die angemaßte Kompetenzausweitung des Integrationsstaatssekretariats. In den vergangenen Monaten umfasste die Agenda nicht nur die Integrationspolitik im engeren Sinne, sondern auch die Steuerung der Zuwanderung - "vorintegrationspolitische" Maßnahmen, die im Herkunftsland der Migrantinnen und Migranten ansetzen. Alleine für Fragen wie Asyl und Abschiebung fehlt das Interesse des im Bundesministerium für Inneres angesiedelten Integrationsstaatssekretariats.

Umso ausgeprägter aber ist die Neigung, sich in die Schulpolitik einzubringen. Neben der aktuell diskutierten Bildungspflicht lassen sich nämlich eine Reihe weiterer Beispiele, wie unter dem Blickwinkel Migration Bildungsthemen gemacht werden, finden:

  • Vor gut einem Jahr wurde das Thema Schulpflichtverletzung (" Schulschwänzen") aufgeworfen und primär als Migrationsproblem kommuniziert.
  • Vor einigen Monaten war ein Sprachförderkonzept für Schulkinder integrationspolitisches Thema.
  • Im Zuge der Novellierung des Staatsbürgerschaftsgesetzes wurde ein neues Schulpflichtfach Staatskunde gefordert. Dieses Fach sollte jenen, die hier geboren sind und wenig Bezug zu diesem Land haben, Werte vermitteln. Nachdem die Unterrichtsministerin den Bedarf dementierte, relativierte der Integrationsstaatssekretär wenige Tage später dahingehend, dass sowohl "Migranten wie österreichischen Staatsbürgern Werte des Zusammenlebens in Österreich und politische Bildung vermittelt werden sollen" (Standard, 13. 7. 2013).

Ethnisierung und Blockade

Es ist unbestritten, dass Integrationspolitik Querschnittsdenken erfordert, dass sie also in andere Politikfelder hinein wirken muss, um Wirkung zu entfalten. Jedoch sind die Konsequenzen der Art und Weise, wie Querschnittsmaßnahmen formuliert und platziert werden, mit zu bedenken.

Zwei Problematiken werden hier skizziert: Ethnisierung und Politik-Blockade.

Ethnisierung von sozialen Problemen meint, dass die angesprochenen Probleme zwar auch Probleme der Zuwanderung sind, aber eben "auch" und folglich keineswegs nur auf Migration alleine reduzierbar sind. Oft handelt es sich vielmehr um Herausforderungen, die mit allgemeinen gesellschaftlichen Veränderungen zu tun haben und auf welche die Politik bisher nicht adäquat reagierte. Diese schulbezogenen Themen nun einseitig im Kontext der Migration zu behandeln, ethnisiert soziale und gesellschaftliche Probleme und macht in der öffentlichen Wahrnehmung Zuwanderung zu einem überdimensionierten Problem.

Zur Politik-Blockade: Die migrationspolitischen Vorschläge für den Schulbereich verbindet, dass sie aus einer gewissen Spontanität heraus entstehen, sie weder inhaltlich noch in Bezug auf die organisatorische wie finanzielle Umsetzung ausgegoren sind, nichtsdestotrotz aber medial aufmerksam verfolgt werden.

Reaktion gefragt

Der Bildungsministerin bleibt dann nur zu reagieren, die rasch in die Debatte eingeworfenen Maßnahmenvorschläge als nicht notwendig abzuwehren (wie das Fach Staatskunde) oder hinkende Kompromisse zu schließen (wie bei der Sprachförderung).

Diese Spontanität des Staatssekretariats mag zwar vordergründig innovativ wirken, in der Folge verdichtet sich aber einmal mehr der Eindruck der generellen politischen Gestaltungsunfähigkeit. Ja, es verstärkt sich die ohnehin bereits weitverbreitete Einschätzung, dass Politik und Regierung handlungsunfähig, -unwillig oder auch nur unprofessionell seien.

Genau dies aber ist demokratiepolitisch in Zeiten sinkender Wahlbeteiligungen und wachsender Distanzierung von politischen Parteien nicht unproblematisch.

Die rhetorischen Einwürfe, wie die aktuelle Forderung der Bildungspflicht, mögen der gegenwärtigen Wahlkampfdynamik entsprechen, sie verdienen aber nicht die Etikette verantwortungsvoller Sachpolitik. Dass für diese oberflächliche Art der Politik auch der Expertenrat, der sich als unabhängiges Beratungsgremium des Integrationsstaatssekretariats versteht, mitmacht, muss überraschen und ist nicht unter Versachlichung der Integrationspolitik zu verbuchen. (Sieglinde Rosenberger, DER STANDARD, 7.8.2013)