Als "Ansager in schwarzen Mänteln, die nichts zu entscheiden haben", bezeichnete Marina Chodorkowskaja, die Mutter des Ex-Milliardärs Michail Chodorkowski, die Richter nach deren Entscheidung, dem Kremlkritiker zwei Monate seiner elf Jahre Haft zu erlassen. Ein durchaus treffender Vergleich, denn als "Entscheidung" im eigentlichen Sinn des Wortes kann das Urteil nicht gelten.

Es zeigt einmal mehr: Das Oberste Gericht - und damit die gesamte Justiz in Russland - besitzt keine Eigenständigkeit. Gewaltenteilung gibt es nicht im Land. Die Entscheidungen werden im Kreml getroffen.

Konnte der erste Prozess gegen Chodorkowski als, wenn auch selektiv angewandtes, Rechtsmittel gegen die dubiose Bereicherung der Oligarchen in den 1990er-Jahren angesehen werden, so grenzte der zweite Prozess, den das Oberste Gericht nun betrachtete, teilweise an Absurdität. Der Staatsanwalt operierte mit sich gegenseitig ausschließenden Vorwürfen wie Diebstahl und gleichzeitiger Steuerhinterziehung. Die simple Frage, welcher Dieb Steuern bezahlt, blieb dabei unbeantwortet.

Das Oberste Gericht hätte die juristischen Widersprüche aufdecken können, ja müssen. Immerhin hatte der Leiter des Obersten Gerichts schon 2012 erklärt, Chodorkowski sei wohl wegen eines Vergehens zweimal bestraft worden. Doch die Männer in Schwarz wagten es nicht, selbst zu entscheiden. So bleiben sie Erfüllungsgehilfen der Politik. (André Ballin, DER STANDARD, 7.8.2013)