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Die Pupillenreaktion unterliegt keiner bewussten Steuerung.

Patienten, die anderweitig nicht in der Lage sind, Kontakt mit ihrer Umwelt aufzunehmen, können ja/nein-Fragen mit Hilfe eines Laptop und einer Kamera beantworten. Die Methode, die in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Current Biology beschrieben wird, stützt sich auf Veränderungen der Pupillengröße, die durch geistige Anstrengung hervorgerufen wird.

Die neue Methode werde vermutlich nicht nur Patienten die Kommunikation erleichtern, deren Bewegungsfähigkeit stark beeinträchtigt ist, sondern möglicherweise auch dazu beitragen, den Zustand von Patienten mit unbekanntem Bewusstseinsgrad zu erfassen, erklärte das Forscherteam von der Philipps-Universität Marburg, der Universitätsklinik Lüttich, dem Allen Institut in Seattle, der Universität Melbourne sowie dem Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung.

Keine bewusste Steuerung

"Es ist bemerkenswert, dass ein scheinbar so einfaches physiologisches System wie das der menschlichen Pupille über eine so große Bandbreite an Reaktionen verfügt, dass es eine so komplexe Aufgabe wie Kommunikation erfüllen kann", unterstreicht der Marburger Neurophysiker Wolfgang Einhäuser-Treyer, Mitautor der Studie. Dabei ist es nicht erforderlich, Kommunikationshilfsmittel einzusetzen, die der bewussten Steuerung unterliegen, wie zum Beispiel Blinzeln. Die unbewusste Pupillenreaktion ermöglicht Kommunikation somit insbesondere Menschen, die der Steuerungsmöglichkeit beraubt seien.

Das Forscherteam forderte sechs gesunde Probanden in je 30 unterschiedlichen Frageszenarien auf, ein mathematisches Problem nur dann zu lösen, wenn die richtige Antwort auf eine ja/nein-Frage auf dem Bildschirm erschien. Die mentale Anstrengung, die die Rechenaufgabe hervorrief, verursachte automatisch eine Pupillenvergrößerung. Diese konnten die Wissenschaftler mittels einer Kamera messen und somit in eine korrekte Antwort auf Fragen wie "Sind Sie 20 Jahre alt?" übersetzen. Dabei spielte es keine Rolle, ob das richtige Ergebnis errechnet wurde. Die Mathe-Aufgabe diente den Probanden lediglich als Möglichkeit, aktiven Einfluss auf ihre geistige Anstrengung und somit auf ihre Pupillenveränderung zu nehmen.

Keine Spezialausrüstung und Training

Als nächstes testete das Forscherteam den Pupillenreaktionsalgorithmus an sieben Probanden mit "typischem" Locked-in-Syndrom, die durch einen Gehirnschlag geschädigt waren. In einer Vielzahl von Fällen konnten diese Personen anhand der Pupillenreaktionen eine Antwort erkennen. Weiterhin konnte selbst für einen Patient in einem minimalen Bewusstseinszustand (minimal conscious state), der zu keiner offensichtlichen Kommunikation fähig war, gezeigt werden, dass er die Aufgaben zu lösen versuchte.

"Es hat uns beeindruckt, dass unsere Methode bei gesunden Probanden fast perfekt funktionierte und dann direkt auf hirngeschädigte Patienten übertragen werden konnte, ohne dass diese Training benötigten oder wir die Parameter anpassen mussten", erklärte Einhäuser-Treyer.

Die Methode benötigt im Hinblick auf Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit noch Nachbesserungen. Der Neurophysiker ist diesbezüglich jedoch zuversichtlich. "Für Patienten mit verändertem Bewusstseinszustand – zum Beispiel im Koma oder Wachkoma – bedeutet jede Art von Kommunikation eine substantielle Verbesserung und damit einen Zuwachs an Lebensqualität," sagt der Neurophysiker. Die in Marburg entwickelte Methode sei einfach einzusetzen und benötigt keine kostenintensive Spezialausrüstung. (red, derStandard.at, 6.8.2013)