Das ist Cikos aktueller, weißer Ranault.

Foto: bogumil balkansky

Ciko heißt Ivica und wird von manchen Stivanjani "der Hirte" genannt. Ciko nennt man ihn nach einer Katze, doch welche es ist oder warum man ihm diesen Spitznamen gibt, weiß weder Ivica, noch die Stivanjani. Was niemanden stört. Bloß "Hirte" mag er nicht genannt werden

"Es ist ein großer Unterschied!" – sagt mir Ciko, als ich ihn nach seinem zweiten Spitznamen frage – "Wenn du ein Hirte bist, hütest du zehn Schafe für einen Anderen! Aber ich habe hundertzwanzig Schafe und alle sind mein! Ich bin ein Farmer!"

Für immer jung

Als junger Mann und vorher, als "Mulac" ist Ciko einer der besten Kicker von Sutivan. Er hat lange Beine, seine meerblauen Augen erfassen jede Bewegung des Balls, die er instantan in Beinbewegungen umwandelt, die den Ball sehr oft ins Tor bringen. Doch ein Netz gibt es auf diesem Fußballplatz nicht, zwei Steinhaufen sind das Tor.

In den 70-ern ist der "Fußballplatz" von Sutivan, die Wiese vor unserem Haus in der flachen Bucht von Majakovac. Jeden Nachmittag, wenn die Sonne hinter den Hügel des Hl. Vinzenz fällt, sodass sein Schatten den Fußballplatz deckt, versammelt sich die Mularija von Sutivan zu einem Kickerl. Seitdem kenne ich Ciko und alle übrigen Kicker, die heute Stivanjani über vierzig sind und nun Bäuche, Brillen und einige sogar schon Enkel haben. Nur Ciko lebt alleine, seine Augen brauchen noch immer keine Brille und er hat keine Wampe zu verstecken.

Und seine langen Beine tragen ihn noch immer sicher und schnell durch die dickste Macchia, wenn er seine Herde treibt.

Autor malt bei Farmer

Es ist nur Zufall. Ciko hat auch zwei Appartements, die er an Touristen vermietet. Eines davon malt er gerade sehr ungeschickt aus. Ein Freund der mithilft, ist noch ungeschickter. Was ich nicht mitansehen kann seit mir Angelo im Friaul das Ausmalen beibringt und mich anschließend für Hungerlohn etwa einhundert Wohnungen ausmalen lässt.

Also gebe ich höflich Ratschläge, bis Ciko höflich fragt, ob ich Lust habe, den Roller selbst in die Hand zu nehmen. So komme ich drei Tage lang, immer wenn die Sonne zum Hl. Vinzenz geht und male sein Appartement langsam aus. Zwei Tage später finde ich morgens einen Liter Olivenöl auf der Mauer neben unserem Parkplatz. Und der Anhänger, um den ich Ciko Tage zuvor bitte, ist auch da. Ich kann endlich das Heu aus unserem Garten wegschaffen.

Am Abend bedanke ich mich für Öl und Anhänger. Doch Ciko hat noch eine Bitte...

Frankreichs bester

Automobile verrotten von außen nach innen. Das ist eine blecherne Regel. Beim Auto von Ciko dem Farmer ist es jedoch genau umgekehrt. Wie bei allen seinen Autos zuvor. Und immer ist es ein Renault 4. Erst ein roter, dann ein blauer, jetzt ein weißer. Und heute Abend bittet Ciko mich, bei der Schaftränke mitzuhelfen, weil sein Cousin noch nicht nüchtern ist. Dann hält er die Beifahrertüre auf.

Ciko kauft nie ein anderes Automodell und behandelt alle gleich: Als Geländefahrzeug in das wahlweise acht lebende Schafe passen oder zweihundert Liter Wasser in Kanistern. Oder so viel Feuerholz, dass die Federn kein Spiel mehr haben. Das Holz verkauft Ciko zum Befeuern von Kaminen im Winter und für Grillorgien im Sommer. Der Schlamm der seine Autos von innen zersetzt, entsteht weil aus den Kanistern oft Wasser rinnt und sich mit diversen anderen Ablagerungen von Schafen, Holzmehl, und Öl und Benzin von der Kettensäge vermischt. Es dauert aber viele Jahre bis ein R4 zerfällt. Inzwischen treibt ihn Ciko durch die Macchia und gelangt an Orte, die kein Pinzgauer erreicht, da wo seine Schafe warten und kommen wenn er sie ruft.

Das Singen der Lämmer

Ciko ruft: "Na-a-a-a-a-a! Na-a-a-a-a!" Die Schafe antworten mit: "Me-ee-ee!". Die Lämmer setzen verzögert ein und haben die höchste Tonstufe. Bald raschelt es in der Macchia, der Chor der Schafe rückt näher. Wenn sie bei ihm sind, wirft Ciko ihnen Brotstücke zu. Ich leere die großen Kanister in diverse alte Badewannen und Badetassen von ausrangierten Duschen. Das ist eine von Cikos Tränken.

Den Kanon für Farmer und Schafbegleitung wiederholen wir an zwei weiteren Badezimmer-Friedhöfen. Danach startet Ciko die Motorsäge, gibt mir einen "Kosir", was eine Art Hybrid zwischen Machete und Handsense ist und deutet auf die undurchdringliche Macchia vor dem R4. Die er anschließend und unglaublich schnell mit der Kettensäge durchdringlich macht. Während Ciko durch die Macchia tanzt, hacke ich mit dem Kosir die kleineren Äste ab und lade die Stämme in das Auto.

Nach zwanzig Minuten ist es vollbracht: Ciko blickt auf eine neue, selbst erschaffene Straße für seinen R4. Dann schaltet er die Kettensäge aus, ich kann wieder den Wind über der Vidova Gora hören. Und ein fernes "Me-ee-ee!".

Die R4-Symphonie

Bereits auf der Fahrt zu den Tränken sind die Geräusche, die Cikos Auto verursacht mehr als unüberhörbar. Nun ist es mit Holz voll beladen und erzeugt eine Kakophonie müder Metallteile, die auf unterschiedlichste Wiese schreiend bekunden, am Ende ihrer Belastbarkeit angelangt zu sein.

Erst denke ich es nur, doch bald frage ich Ciko laut, ob sein Auto noch eine Straßenzulassung hat. Ciko lacht nur und deutet auf die Ablage vor mir. Darin lugt aus einem Wust Rechnungen, Zetteln und Gliedern einer Sägekette, ein weißes Papier mit einem Stempel. Ich will gar nicht wissen, was dort geschrieben ist. Und kann auch nicht. Weil ich zwei der acht Wasserkanister auf meinem Schoß jonglieren muss, während ein dritter, auf dem Holzhaufern hinter meinem Kopf, ständig auf Ciko zurutscht.

Doch Ciko stört das nicht. Weil wir bergab fahren schaltet er den Motor aus. Die Serpentinen von Vidova Gora bis Supetar sind eng, schlecht gebaut und kilometerlang von einem Abgrund gesäumt. Was für Ciko kein Grund ist, Benzin zu verschwenden. Nun sind die Geräusche seines Autos nicht mehr im Fokus meiner Besorgnis. Ich schnalle, was vom Gurt noch übrig ist um die Brust und vertraue, dass die Kanister vor meinem Gesicht genauso gut wie Airbags funktionieren.

König Chaos

Obwohl Ciko allein lebt, ist er nicht einsam. Soweit ich weiß, hat er keinen Streit mit den übrigen Stivanjani. Vielmehr ist er als hilfsbereiter und humorvoller Mensch bekannt. Als Kickerlegende sowieso. Und als totaler Chaot. Doch seine Nachbarin Slavica kassiert das Geld von Cikos Appartement-Gästen, wenn Ciko es wieder vergisst, ich bin ihm nicht böse, dass ich noch immer auf mein Feuerholz warte und die Polizisten aus Supetar winken Ciko bei Verkehrskontrollen immer nur durch.

Vielleicht nur, weil sie gar nicht wissen wollen, was auf dem Papier mit dem Stempel, der in der Ablage vor dem Beifahrersitz von Cikos R4 ruht, geschrieben ist. (Bogumil Balkansky, 5.8.2013, daStandard.at)