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Der alte Herr und seine Sehnsüchte: Hans Sachs (Michael Volle) blickt auf Eva (Anna Gabler), die mit Beckmessers märchenhaft großem Schuh tanzt.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Salzburg - Um ein weißes Haar wäre es Hans Sachs fast so ergangen wie dem Salzburger Falstaff, der sich (in der Inszenierung von Daniele Michieletto) schlafend eine ganze Verdi-Oper erträumt. Bei Regisseur Stefan Herheim reißt es diesen alten, einsamen Sachs, dessen Frau und Kinder längst dahingeschieden sind, allerdings panisch aus dem Schlaf. Den Schuster und Künstler, der ein bisschen auch Richard Wagner ist, plagt ein Kreativrausch, quält der hochproduktive Dauerstress, der zwischen Tag und Nacht keinen Unterschied duldet.

Eilig notiert Sachs, noch im Schlafanzug, in wahnhaftem Kunstfieber zwischen den Goethe-, Wagner- und Beethoven-Büsten seines Domizils aufs Notenblatt die Meistersinger-Töne. Und in einer zauberhaft filmischen Verwandlung wächst derweil ein Möbelstück, der Sekretär, zu riesenhaftem Bühnenbildwuchs - bevölkert von Nürnbergern, die wirken, als wären sie einem biedermeierlichen Bilderband entsprungen (glänzendes Bühnenbild: Heike Scheele). Hans Sachs wandert also in seinem Stück, und der Betrachter in Sachs' Komponierkopf.

Dabei vermischt Herheim die Ebenen surreal, spielt mit räumlichen Dimensionen: Riesig sind die zu reparierenden Schuhe, kolossal Grimms Märchenbuch. Wie überhaupt Teile von Sachs' Behausung immer im Jumbo-Format zum Schauplatz der Szenen mutieren. Wenn am Ende des zweiten Aktes die wilde Rauferei losbricht, spazieren sie dann auch alle aus dem Buch: Die sieben Zwerge mit Schneewittchen (die in einem Kasten mit einem Zwerg Intimität sucht), der gestiefelte Kater, wie auch der Froschkönig, der einen Junker deftigst sexuell belästigt.

Bei Herheim verselbstständigen sich Figuren, werden Ideen lustvoll ausgereizt. Doch mögen die Fundamente der Logik märchenhaft außer Kraft gesetzt sein - es regiert unentwegt eine überragende, subtil an der Musik orientierte Präzision der szenischen Umsetzung.

Bei allen surrealen Volten hat Herheim hier jedoch auch ein Stück über Begehren und Älterwerden geformt. Hans Sachs (grandios Michael Volle, bis ihn am Schluss ein bisschen die Kraft verlässt) sehnt sich nach der jungen Eva (Anna Gabler bleibt vokal blass und schrill), von der er auch ein Bild malt, das er schließlich zerstört. Letztlich sorgt er vernunfthalber dafür, dass Walter von Stolzing (vibratobedrängter Schönklang und große Mühe plagten Roberto Sacca) seine Eva ersingt, während Beckmesser (stimmlich hervorragend und komödiantisch brillant Markus Werba) vorgeführt wird.

Zuerst verschwommen

Aus Hans Sachs' melancholischer Grundbefindlichkeit heraus lässt sich auch der Ansatz von Dirigent Daniele Gatti einigermaßen nachvollziehen: Zu Beginn ist sein Zugang von bedenklicher Schwammigkeit; mit fast operettenhafter Süffigkeit lässt er den nach Magdalena (solide Monika Bohinec) schmachtenden David (hohe lyrische Qualität Peter Sonn) orchestral umgarnen. Im Laufe des 1. Aktes jedoch konturieren sich Klangbild und Strukturen. Es entsteht der Eindruck eines tendenziell lyrisch-wehmütigen Zugangs, der Zärtlichkeitsfantasien und grüblerische Schwermut mit poetischer Entschleunigung untermauert.

Die Philharmoniker betören denn auch klanglich, als gelte es Puccini umzusetzen (paradoxerweise hat Gatti im Vorjahr die Bohème eher entschlackt präsentiert), wobei auf pointierte Kommentare der Bühnenvorgänge nicht gänzlich verzichtet wird.

Verzichtet wird bei Herheim auch nicht auf die Charakterisierung der Meister: Sie sind spießige Regelbefolger (sehr nobel klingt Georg Zeppenfeld als Pogner), die einander - angesichts von Stolzings alle Regeln pulverisierenden Gesangs - hypnotisiert und schwärmerisch in die Arme fallen.

Nur an einer Stelle, bei Sachs' Schlussworten ("... zerfällt erst deutsches Reich und Volk ..."), reduziert Herheim, verdunkelt er und lässt Sachs alleine in einem Lichtkreis stehen. Immerhin eine Andeutung der Vereinnahmung des Werkes durch die Nationalsozialisten. Der Jubel jedenfalls war groß; nur für Dirigent und Regisseur gab es zwei bis drei Buhs. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD, 5.8.2013)