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Der Angeklagte Holger G. sitzt im Gerichtssaal und verbirgt sein Gesicht. G. könnte mehr Kontakt zur Zelle des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gehabt haben als ursprünglich angenommen.

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Beate Zschäpe hat in den ersten drei Prozessmonaten nur geschwiegen.

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Freie Plätze sind auf der Tribüne im Schwurgerichtssaal A101 des Oberlandesgerichts in München trotz sommerlichen Wetters rar. Das Interesse von Zuschauern und Journalisten am NSU-Verfahren ist entgegen allen Unkenrufen vor Prozessbeginn ungebrochen. Kurz vor der Sommerpause drängten sich sogar noch mehr Menschen in den kleinen Saal.

Die Farce um die Vergabe der Presseplätze vor Prozessbeginn ist inzwischen in den Hintergrund gerückt. Der Vorsitzende Richter des verhandelnden Staatsschutzsenats, Manfred Götzl, musste im April wegen der Benachteiligung ausländischer Journalisten die Vergabe der Presseakkreditierung neu aufrollen und ließ die Plätze verlosen. Das Image des Gerichts war beschädigt. Als am 6. Mai die Verhandlung startete, waren die meisten Zuschauer und Beobachter skeptisch, ob es dem Senat gelingen würde, das verlorene Vertrauen zurückzuerlangen.

Bundesanwalt zufrieden

Nach drei Monaten hält die Bundesanwaltschaft "die Prozessführung für angemessen. Wir sind sehr zufrieden mit der bisherigen Beweiserhebung", sagte Bundesanwalt Herbert Diemer zuletzt. Diemers Ziel wäre es, eng an der vorgelegten Anklage entlang zu verhandeln, weshalb er im Juni einen von Nebenklageanwalt Thomas Bliwier gestellten Beweisantrag ablehnte, einen Brief von Beate Zschäpe an einen verurteilten rechtsextremen Straftäter zu verlesen und mehrere Neonazis als Zeugen vorzuladen. Eine Entscheidung des Gerichts dazu steht allerdings noch aus.

Derzeit lässt Richter Götzl der Verteidigung und den Nebenklägern viel Zeit für Fragen. Betreffen diese nicht das Beweisthema oder werden Zeugen Antworten vorgegeben, wird er aber schnell grantig.

Anwalt Stephan Lucas zeigt sich erfreut darüber, dass nun auch weitergehende Fragen Raum finden. Im Prozess müsse schließlich auch das Warum geklärt werden: warum neun Menschen sterben mussten. "Bis vor wenigen Wochen war das undenkbar gewesen. Jetzt stellt der Vorsitzende Götzl solche Fragen sogar selbst", zeigt sich der Anwalt erfreut, der mit Semyia Simsek die Tochter von Enver Simsek vertritt, dem ersten Todesopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) im Jahr 2000 in Nürnberg.

So peinlich die Akkreditierung oder der Streit um einen Platz für den türkischen Botschafter vor Prozessbeginn waren, im Gerichtssaal ist Götzl der Souverän. Ihm ist es gelungen, dass bereits dutzende Zeugen befragt wurden und zwei der fünf Angeklagten im NSU-Verfahren vor Gericht Aussagen zu Protokoll gaben.

Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe schweigt dagegen. Für sie sprechen nur ihre drei Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Stahls Zwischenresümee: Die "Maximalanklage" der Bundesanwaltschaft habe bisher "keine Bestätigung gefunden".

Den Verteidigern von Zschäpe und jenen des Mitangeklagten Ralf W. gelang es mehrfach, Ermittler der Polizei und des Bundeskriminalamts im Zeugenstand in Bedrängnis zu bringen. Aus Sicht der Anwälte soll das Identifizieren möglicher Mordwaffen nicht so neutral abgelaufen sein, wie es für einen stichhaltigen Beweis erforderlich wäre. Dem Feststellen einer möglichen Mordwaffe dürfte im Verfahren eine der Schlüsselrollen zukommen.

Wie hoch die Erwartungshaltung der Angehörigen der Opfer an das Verfahren ist, machte Semyia Simsek vor kurzem erneut deutlich, als sie sagte, sie erwarte eine Entschuldigung "der ganzen Polizei", nicht eines einzelnen Beamten.

"Der Prozess hat bereits jetzt sehr viele neue Erkenntnisse gebracht", meint der Berliner Politikwissenschafter Hajo Funke. So müsse die Sicht auf die Rolle des Angeklagten Holger G. sicherlich korrigiert werden. "Dieser hatte offensichtlich intensiver und länger Kontakte in die rechtsextreme Szene und womöglich auch zum NSU-Trio." Funke hofft, dass das rege Interesse am Prozess auch nach der Sommerpause anhält. Kommenden Dienstag ist der letzte Gerichtstag, bevor nach einer Unterbrechung Anfang September weiterverhandelt wird. (Kai Mudra und Martin Debes aus München, DER STANDARD, 5.8.2013)