Sie wühlen im Dreck: Mariam Wallentin, Lieselot De Wilde und Jördis Richter (im Hintergrund) in "The Wasp Factory".

Foto: Anja Köhler

Bregenz - Wenn die sonst eher betulich formulierenden Vorarlberger Nachrichten ein Werk als "einen ziemlichen Hammer" bezeichnen, dann ist das, nun ja, ein ziemlicher Hammer. Aber The Wasp Factory, der 1984 erschienene Debütroman des im Juni verstorbenen Sciencefiction-Autors Iain Banks, ist auch voll die Härte: makaber, grotesk, surreal, schwarz.

Der im Genitalbereich verstümmelte Frank, Protagonist im Teenageralter, ergeht sich auf einer Insel isoliert in schamanistischen Ritualen mit reichlich totem Getier. In der Klapse ist aber Franks Bruder Eric, der Hunde abgefackelt hat. Frank hingegen hat als Kind drei Kinder im nahen Verwandtenkreis ermordet, später aber mit den Tötungen aufgehört: "Es war nur eine Phase." Und einen seltsamen Vater und eine überraschende Schlusswendung in Richtung Genderdebatte gibt's auch noch - volles Programm.

Anklänge an die eigene Kindheit hätten ihn bewogen, Iain Banks' Bestseller als Basis für sein neues Musiktheaterwerk heranzuziehen, erläutert der Komponist Ben Frost in einem Gespräch mit Psychiater Reinhard Haller, welches im Programmheft abgedruckt ist: die Wahrnehmung der Natur als Gegner; die schweren Verbrechen, mit denen seine Eltern als hochrangige Polizisten zu tun hatten.

Aber keine Angst: Der in Island lebende Australier hat sich ein Wort von Tom Waits zu Herzen genommen und "schöne Melodien gefunden, um schreckliche Dinge zu erzählen", wie Frost - man muss den blonden, bärtigen Mittdreißiger als einen der bestgestylten Menschen dieser Tage beschreiben - im Einführungsgespräch mit Laura Berman erklärt.

Ohrenstöpsel werden vor Stückbeginn aber dann doch verteilt, denn der Spezialist für elektronische Musik eröffnet das Auftragswerk der "Kunst aus der Zeit"-Schiene der Bregenzer Festspiele mit einem ordentlichen Geräuschhammer, der an den Start eines Jumbojets erinnert. In den fünf Viertelstunden danach hört man von einem hinter der Bühne platzierten Streichquintett (Reykjavik Sinfónia) viel traditionell grundiertes, teilimprovisiertes, von elegischem e-Moll dominiertes Tonwerk; elektronische Beigaben wummern, flirren, zischen an den Rändern dieses Kernmaterials.

Drei Frauen (toll, kühn, mit Musicalstimmen: Lieselot De Wilde, Jördis Richter, Mariam Wallentin) singen, sprechen und spielen, den Romanprotagonisten nicht direkt zuordenbar, die 20 Szenen, auf die Intendant und Librettist David Pountney das Geschehen reduziert hat: Telefonate Franks mit seinem Bruder Eric, die Schilderung der Morde an den Kindern, Dialoge mit seinem Vater.

Sie wühlen dabei im Dreck: Die rechteckige, von Neonröhren begrenzte und unterteilte Bühne (Mirella Weingarten) ist zu Beginn komplett damit bedeckt. Sie wird sich im Verlauf des Stücks zur Wand aufrichten: Die Erde, Symbol für das Kraftvoll-Archaische im Menschen, wird dann komplett abgerutscht sein. Das kalte Raster der Neonröhren bleibt: "Alles, was wir tun, folgt einem Muster", heißt es im Libretto. "Die Starken machen ihre eigenen Muster und beeinflussen die von anderen, von den Schwächeren."

Die Bilder von Frosts Inszenierung (Licht: Lucy Carter, Kostüme: Boris Bidjan Saberi) geraten etwas stärker als seine Musik, bei Letzterer hinterlässt die Elektronik mehr Eindruck als die Kammermusik. Dennoch: ein starkes Stück. Als "quite amazing" wird es David Pountney auf der Premierenfeier bezeichnen. Einhellige Begeisterung.   (Stefan Ender, DER STANDARD, 3./4.8.2013)