Wie in einem Abstellkammerl für die eigene Biografie wendet sich ein Andy Warhol aus Gips von seinen Siebdrucken ab. Dabei ist die Sammlung der Galerie Mihal in Kosice durchaus beachtenswert.

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Zehn Restaurants in Kosice bieten ihren Gästen sogenannte Andy-Warhol-Menüs. Immerhin: Sie bestehen aus mehr als nur Tomatensuppe in Campbell-Dosen.

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Im Eurohotel in Medzilaborce schlagen zunächst nur Jägerherzen höher: An den Wänden des Restaurants hängen ausgestopfte Hirschköpfe, zur Gänze präparierte Rehe und andere Jagdtrophäen. Das Hotel, 1978 erbaut, wurde zwar 2002 renoviert, doch der Baustil erinnert auch heute noch an eine typische kommunistische Ferienanlage. Das einzig Ungewöhnliche an diesem ostslowakischen Drei-Sterne-Haus, zehn Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, ist wohl seine Adresse: Andy Warhola 195/28 steht auf einem Schild über der Tür.

War der 1987 verstorbene amerikanische Pop-Art-Künstler hier etwa zu Gast? Keineswegs, Warhol hat weder die Slowakei noch die damalige Tschechoslowakei jemals besucht. Doch nur wenige Hundert Meter vom Hotel entfernt findet sich in einem ehemaligen sozialistischen Kulturhaus auch noch ein Museum mit Werken von Andy Warhol. Da realsozialistischer Baustil und Pop-Art nicht unbedingt zusammenpassen, hat man die verschachtelte Fassade des Gebäudes sogar neu gestrichen: lila, blau, gelb, grün, rot und orange leuchtet sie nun für Warhol, die äußeren Seitenwände sind mit zahlreichen bunten Bildern des Künstlers geschmückt.

Ganz in seinem Stil wurden hier auch einige Buswartehäuschen direkt vor dem Museum und an der Andy-Warhol-Straße gestaltet: Sie sind nicht wie üblich kubisch, sondern zylindrisch und schauen aus wie überdimensionale Konservendosen der Campbell Soup Company. 32 dieser Dosen - allerdings als unveränderte Originale - waren das Hauptmotiv einer Warhol-Ausstellung im Jahr 1962. Aber halt auch nicht in Medzilaborce, sondern eben in der Ferus Gallery in Los Angeles.

Niemals in der Slowakei

Was also haben diese Suppendosen dann hier, ganz in der Nähe der EU-Grenze im Osten, zu suchen? Schließlich ist Andy Warhol ja in Pittsburgh geboren und behauptete immer steif und fest: "Ich komme von nirgendwo." Und was um alles in der Welt hat sich sein drei Jahre älterer Bruder John Warhola wohl dabei gedacht, einem Provinzmuseum im Medzilaborce zahlreiche Warhol-Werke zu stiften und sogar dessen Aufbau zu unterstützen? Nur fünf Jahre nach Andy Warhols Tod, also im Jahr 1992, öffnete es seine Pforten. Warum hier?

Die Antwort darauf findet sich erst fünf Kilometer von der Kleinstadt entfernt, im Karpatendorf Miková, und dürfte eingefleischten Pop-Art-Fans ohnehin bekannt sein. Dort hatten Andy Warhols Eltern gelebt, Ondrej und Julia Varchola, bevor sie in die USA auswanderten, der Vater 1912, die Mutter folgte 1921. Miková gehörte damals zu Ungarn, Ondrej und Julia Varchola zur ruthenischen Minderheit. Das Haus, in dem die Familie in Miková wohnte, ist längst abgerissen - doch Andys Mutter, die 1972 starb, hielt zeit ihres Lebens Kontakt zur früheren Heimat. Und genau dort scheint inzwischen ein regelrechter Warhol-Rausch ausgebrochen zu sein: Am Ortseingang von Miková findet sich noch vor dem eigentlichen Ortsschild eine Tafel mit Andy-Warhol-Porträt, auf dessen Rückseite einmal mehr die berühmte Campbell's-Suppendose abgebildet ist.

Wer ein wenig hinter das Emblematische blicken will, sollte aber zunächst wieder zurück ins Warhol-Museum von Medzilaborce. Neben den wenigen Originalen und zahlreichen Kopien seiner Werke - vom Elektrischen Stuhl über Sitting Bull bis hin zu Porträts der deutschen Ärztin Mildred Scheel - sind hier auch Briefe, Dokumente und Gegenstände aus seinem persönlichen Leben zu sehen: darunter die Kopie eines Schreibens des Museum of Modern Art in New York, das im Jahr 1956 seine Werke abgelehnt hat, sowie ein mehrsprachiger Film, der seinen Werdegang beschreibt.

Wer nach einem Besuch des Museums nicht mehr weiterreisen will, etwa in die aktuelle Europäische Kulturhauptstadt Kosice, dem bleibt in Medzilaborce nicht nur das Eurohotel als Übernachtungsmöglichkeit, sondern - wie könnte es anders sein - die Penzion Andy, direkt gegenüber dem Museum.

Populär bei Funktionären

Die Popularität Andy Warhols reicht in der Region freilich weit über Medzilaborce hinaus. Auch im 120 Kilometer südwestlich gelegenen Kosice identifizieren sich Kulturfunktionäre und Tourismusvermarkter mit der Pop-Art-Ikone, die von einigen Freunden liebevoll Drella genannt wurde - eine Mischung aus Dracula und Cinderella. "Andy Warhol ist für uns ein wichtiges Aushängeschild, das hilft, Touristen überhaupt auf uns aufmerksam zu machen. Dass sich zwei von weltweit drei Andy-Warhol-Galerien hier bei uns in der Slowakei befinden, ist zu- dem tatsächlich etwas Besonderes. Und so viele andere große Namen haben wir nicht", sagt Ján Sudzina, Direktor von "Kosice 2013". Fakt ist, dass Andy Warhols Geburtstag in Kosice auch ohne Programmierung als Kulturhauptstadt jedes Jahr am oder um den 6. August öffentlich gefeiert wird: mit Pop-Art-Workshops, bei denen sich Kinder mit Acrylfarben beschmieren, mit Auftritten von Andy-Warhol-Doubles und mit der Projektion seiner Werke auf Häuserfassaden.

Verlängert wird die Partynacht, die in diesem Jahr früher angesetzt ist - nicht am 6., sondern bereits am 2. August -, durch Open-Air-Ateliers zum Mitmachen am Folgetag und durch ein einschlägiges kulinarisches Angebot. Rund zehn Restaurants in Kosice bieten ihren Gästen fast einen Monat lang sogenannte Andy-Warhol-Menüs - und die bestehen immerhin aus mehr als nur Tomatensuppe in Campbell-Dosen. Im Dalia-Hotel in der Altstadt von Kosice wurde zum Beispiel im letzten Jahr etwas serviert, das "Andy's colorful fantasy" hieß: eine mit Rindfleisch gefüllte Aubergine, ein mit Schweinefleisch gefüllter gelber Paprika und eine mit Hendl gefüllte Tomate - möglichst bunt sollte es halt sein, also wurde zusätzlich noch mit gegrillter Polenta in knalligem Grün und Gelb garniert. Als Cocktail danach gab's "Andy's genius", eine Mischung aus Cognac, Orangenlikör und Cola - oder "Marilyn's passion", eine gewagte Mischkulanz aus Champagner, Metaxa und rotem Grenadinen-Sirup.

Bei einem weiteren Kosicer Betrieb, dem außerhalb des Zentrums gelegenen Hotel Múza, sitzt Andy Warhol sogar tagtäglich als Puppe auf einem Dachvorsprung. Das Múza ist ein schriller Gebäudekomplex und verfügt nicht nur über Zimmer im Pop-Art-Stil, sondern mit der Mihal Gallery auch über eigene Ausstellungsflächen. Gezeigt werden Originale und auch etliche Kopien der Werke von Andy Warhol, seinem Pop-Art-Kollegen Steve Kaufman und vom slowakischen Post-Pop-Art-Maler Daniel Brogyányi.

Neben den bekannten Darstellungen von Martha Graham, Teddy Roosevelt und Sitting Bull finden sich hier zudem die Kachina Dolls aus Warhols Serie "Cowboys und Indianer" und ein Porträt des kanadischen Eishockeyspielers Wayne Gretzky. Durchaus beeindruckend sind die verschiedenfarbigen Drucke der heiligen Appolonia - Schutzheilige der Zahnleidenden -, die Warhol von einer mittelalterlichen Vorlage kopiert hat. Sie hält eine Zange mit einem gezogenen Zahn in der Hand.

Die Monroe nie getroffen

Miroslav Mihal, der Inhaber der Galerie, hat 1995 mit dem Sammeln von Pop-Art begonnen und mutmaßt, dass seine Sammlung inzwischen rund eine Million Euro wert ist. Zu den wertvollen Stücken gehört eine Warhol-Darstellung von Schloss Neuschwanstein, deren Wert Mihal auf rund 40.000 Euro schätzt. Zudem besitzt der Sammler auch ein Unikat eines Marilyn-Monroe-Druckes aus dem Jahr 1967, das früher das Büro von Fred Hughes geziert haben soll, einem Gründungsmitglied der Andy Warhol Foundation. Dieses Porträt hat Warhol, der die Monroe ja nie persönlich getroffen hatte, auf Basis eines Fotos aus dem Jahr 1953 gestaltet. Vermutlich bis zu 200.000 Euro, meint Miroslav Mihal, sei allein dieses Bild, das die Schauspielerin und Sängerin mit lilafarbenem Gesicht und hellblau umrandetem Mund zeigt, derzeit am Kunstmarkt wert.

Deutlich weniger kostet es jedenfalls, sich nur zwischendurch bei Andy Warhol in der Slowakei einzuquartieren. "Die Galerie dient auch als Appartement", erklärt Miroslav Mihal seinen Besuchern. Und somit steht selbst einer Nacht mit Marilyn Monroe in Kosice nichts im Wege.  (Florian Flieger, Album, DER STANDARD, 3./4.8.2013)