Ein so widerwärtiger Charakter, wie es dem Stück entspricht: Hagen (Attila Jun, Mitte) spinnt seine intriganten Fäden an Frank Castorfs "Döner-Box" bei der Berliner Mauer.

Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

Da buhten sogar ein paar Kritiker: Als sich Frank Castorf mit seinem Team nach der Götterdämmerung erstmals im Rahmen seiner Neuinszenierung von Richard Wagners Ring des Nibelungen auf der Bühne des Bayreuther Festspielhauses zeigte, rückte er gleich gar nicht mehr von der Stelle.

Die Kostümbildnerin (Adriana Braga Peretzki) wurde schon ein wenig nervös, während der Altmeister und -revoluzzer von der Berliner Volksbühne dem Publikum die Stirn bot: ein bisschen eitel, ein wenig frech, in devoten Posen, dann wieder gestikulierend, es möge doch noch lauter geschrien oder aber auch nachgedacht werden.

Inhomogene Denkanstöße

Dabei war die Front der Ablehnung freilich keineswegs geschlossen, gab es neben der Buh-Fraktion (die auch einzelne Sänger mit der ihr eigenen Sensibilität abstrafte) auch gar nicht so wenig Zustimmung - zumindest für Bayreuther Verhältnisse.

Auf einen Jahrhundert-Ring sei er sowieso nicht aus, hatte Castorf im Vorfeld gesagt; ihm würde auch ein Jahres-Ring genügen. So schlüssig, dass man darin einen bleibenden Wert erblicken müsste, ist seine Arbeit tatsächlich nicht - trotz der Denkanstöße, die sie unzweifelhaft beinhaltet.

Hatte die Reise in Amerika und Aserbaidschan begonnen, so strandete sie nun beim Trauma DDR, an der innerdeutschen Grenze: auf der einen Seite ein schäbiges Treppenhaus, die Leuchtreklame einer volkseigenen Chemiefabrik, auf der anderen eine Kebabbude und ein Obst-und-Gemüse-Laden - ohne Obst und Gemüse.

Denn im Westen sieht es hier mindestens so trist aus wie im Ostteil der Stadt (Bühnenbild: Alexandar Denic). Und auch das Verhalten der Akteure ist deprimierend: Hagen (Attila Jun) spuckt etwa wüst um sich - was für die feinen Mägen einiger Besucher schon wieder zu viel war.

Ihn so widerwärtig zu zeigen, wie es dem Stück entspricht, ist hier freilich gelungen. Um allerdings voll und ganz nachvollziehen zu können, dass er mit seinem abstrusen Verhalten Voodoorituale vollzog und damit seine Fremdheit in der Gibichungen-Sippe kompensieren wollte, dazu musste man schon einen Einführungsvortrag besucht haben oder sonst einschlägig vorbelastet sein.

Selbsterklärend war die Inszenierung somit nicht. Aber selbst wenn man einräumen wollte, dass auch Wagners Werk ohne Hintergrundwissen zu Stoff und Intention kaum erschlossen werden kann, und sich mühte, sämtliche Assoziationen des Regisseurs nachzuvollziehen, so blieb dieser Ring dennoch skizzenhaft.

Die opulenten Kulissen (darunter am Ende auch noch die klassizistische Fassade der New Yorker Börse) standen so in einem merkwürdigen Gegensatz zum lose gereihten Geschehen. Zwar war das Öl aus Rheingold und Walküre wieder da (und ergoss sich über den toten Siegfried), doch blieb es letztlich bei Episoden, die sich weniger ineinanderfügten als in einer TV-Soap (Castorf hatte die Probenbedingungen in Bayreuth damit verglichen und sich darüber beschwert).

Orchestral aus einem Guss

Daran änderte auch der volle Einsatz der Sänger wenig: Alejandro Marco-Buhrmester (Gunther) gelang etwa eine eindringliche Charakterstudie eines Hin- und Hergerissenen. Catherine Foster (Brünnhilde) kämpfte nicht nur wacker mit der Intonation, sondern rang auch mit Erfolg um Seelentiefe inmitten der Blutlachen. Und Lance Ryan (Siegfried) zwang seinen etwas engen Tenor mit deutlichen Ermüdungserscheinungen in fast alle exponierten Lagen und gewann immerhin an psychologischem Profil.

Wie aus einem Guss klang aber so wie in der gesamten Tetralogie das Orchester, das Kirill Petrenko mit titanischer Konzentration und Gestaltungskraft auch hier stets abschattierte und ausbalancierte. Es könnte sein, dass man dieses Dirigat noch als Meilenstein in der Wagner-Interpretation feiern wird. Wenigstens musikalisch wurde es somit doch weit mehr als nur ein Jahres-Ring.    (Daniel Ender aus Bayreuth, DER STANDARD, 2.8.2013)