Bradley Manning hat also nicht "dem Feind" geholfen. Zumindest in diesem, dem schwerstwiegenden Anklagepunkt gegen den Obergefreiten der US-Armee, der die Enthüllungsplattform Wikileaks mit geheimen Dokumenten belieferte, hat das Militärgericht die Anklage nicht bestätigt. Gut so. Wäre Manning tatsächlich in diesem Punkt schuldiggesprochen worden, hätte das eine schlechte Nachricht für die Medien bedeutet. Das Urteil hätte - eher über kurz denn über lang - den Tod des investigativen Journalismus bedeuten können; zumindest in den USA.

Das mag wohl auch Richterin Denise Lind bedacht haben, die mit einem solchen Verdikt jedes Medium, das investigativ arbeitet - also Missstände, Korruption und Geheimnisse aufzudecken trachtet -, ultimativ kriminalisiert hätte; mit unabsehbaren Folgen für die Freiheit der Medien. Keine Rede mehr dann von kritischer Berichterstattung, egal ob zu Innen-, Verteidigungs- oder Außenpolitik. Die Medien stünden dann prinzipiell unter dem Generalverdacht, immer und überall "der Feind" zu sein.

Doch damit sind die Möglichkeiten für eine positive Beurteilung des Urteils in der Causa Bradley Manning bereits erschöpft: Das US-Militärgericht hat indirekt bestätigt, dass etwa die Aufdeckung von Folterpraktiken offenbar nur dann straffrei bleiben kann, wenn dadurch nicht die eigenen Behörden belastet werden - so wahr die Information auch sein möge. Andernfalls, wie bei Manning, wiegt der Tatbestand des Verrats in der Lesart der US-Militärjustiz wohl mehr als der Artikel 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen: "Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden."

Die Härte des Manning-Urteils ist wohl Teil einer Strategie, weitere Whistleblower innerhalb des US-Machtapparats abzuschrecken. Wer soll noch genug Courage aufbringen, Geheimnisse der US-Regierung - vor allem kriminelle - weiterzugeben, wenn die Mindeststrafe automatisch mehrfach lebenslänglich ist?

Diese Strategie wird nicht aufgehen, und der nach Moskau geflüchtete NSA-Whistleblower Ed Snowden ist mit Sicherheit nicht der letzte Fall gewesen. Die USA täten gut daran, sich von der Vorstellung zu verabschieden, sie könnten im digitalen Zeitalter den Fluss von Informationen kontrollieren - geschweige denn im eigenen Sinn bändigen. Das hat nicht einmal 1971 funktioniert, als durch Daniel Ellsberg die Täuschungsmanöver der US-Regierung gegenüber der eigenen Bevölkerung in Bezug auf den katastrophal verlaufenden Vietnamkrieg aufflogen.

Ohne es bisher offen einzugestehen, wissen es die Entscheidungsträger in Washington ohnehin: Die wahl-, plan- und lückenlose Überwachung der globalen Kommunikationsströme kann schwerlich als Ultima Ratio im Kampf für nationale Sicherheit und gegen den internationalen Terrorismus gewertet werden. Immerhin reagiert man nun im US-Kongress mit der stückweisen Freigabe bisher geheimer Dokumente, wie etwa jener, die den Telekomanbieter Verizon zur Weitergabe von Verbindungsdaten verpflichten. Ohne Snowden wäre es wohl noch nicht dazu gekommen.

Viele Regierungen müssen erst in der digitalen Gegenwart ankommen. Das bewies - für Spott und Häme sorgend - auch die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: Sie bezeichnete unlängst das Internet als "Neuland". (Gianluca Wallisch, DER STANDARD, 1.8.2013)