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Pleitemanager: der 55-jährige Demokrat Orr.

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Die Bewohner Detroits müssen sich auf noch härtere Zeiten einstellen - vor allem bei Pensionisten und Beamten soll weiter gespart werden.

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Kevyn Orr mag keine Wortgirlanden, er spricht so trocken und nüchtern, wie es Zahlenmenschen oft tun. Als ihn der Bundesstaat Michigan im März zum Zwangsverwalter Detroits bestellte, merkte er mit grimmigem Sarkasmus an, jetzt avanciere er wohl zum meistgehassten Mann der Stadt. Egal, er sei bereit, dies eine Weile zu ertragen.

Nun, da der 55-Jährige offiziell die Insolvenz der traditionsreichen Motor City erklärte, beschrieb er in ähnlich unverblümten Sätzen, worin das Elend Detroits besteht. "Glaubt irgendeiner, dass es okay ist, wenn vierzig Jahre alte Bäume durch die Dächer verfallener Wohnhäuser wachsen?" "Glaubt irgendeiner, unsere Kinder sollten durch dunkle Straßen laufen, wenn sie an einem Oktoberabend von der Schule nach Hause kommen?" 40 Prozent der Straßenlaternen Detroits sind defekt, 78.000 Häuser stehen leer. Bis die Polizei nach einem Alarm anrückt, dauert es im Durchschnitt 58 Minuten, fünfmal länger als im amerikanischen Mittel. Um ein Zeichen des Aufbruchs zu setzen, will Orr binnen vier Wochen damit beginnen, ein paar der tristesten Ruinen abzureißen. Auf landestypische Art den Optimisten gebend, versteht er sich als Chef eines Reparaturbetriebs, nicht als Verwalter einer Dauermisere. Bis September 2014 will er die Finanzen der Autohochburg in Ordnung gebracht haben.

Geschiedene Geister

Es ändert nichts daran, dass sich die Geister an dem Mann scheiden. Für die einen ist er eine Art ehrlicher Buchhalter, der nur bilanziert, was sich angestaut hat an Problemen. Seit 1955 schrumpft Detroit, infolge der Achterbahnfahrt der Autobauer und der Rassenunruhen von 1967 so drastisch, dass die Zahl seiner Bewohner von fast zwei Millionen auf knapp 700.000 gesunken ist. Ein Rathaus, in dem Korruption und Vetternwirtschaft grassierten, vertagte Lösungen und verschlimmerte die Krise, sodass der Offenbarungseid zwangsläufig folgen musste - und mit ihm ein eiserner Besen, "Iron Orr", wie manche den Tacheles redenden Anwalt nennen. Andere sehen in Orr eher den schnöden Kapitalisten, der auf dem Rücken der kleinen Leute spart. In einem umstrittenen Schritt will er die Pensionszusagen des öffentlichen Dienstes aushebeln, insgesamt 3,4 Milliarden Dollar (2,5 Mrd. Euro), auf die sich zwanzigtausend Angestellten der Kommune zu verlassen können glaubten, die aber nicht gegenfinanziert sind. Welche Schieflage entstanden ist, machen schon zwei Zahlen deutlich: Auf rund 3000 aktive Polizisten und Feuerwehrleute kommen 8200 im Ruhestand, symbolisch für eine Stadt, die immer kleiner wird.

Orr hat bisher nur angedeutet - genaue Zahlen gibt es noch nicht -, dass er die Renten-Verpflichtungen halbieren will, was eine Lawine von Klagen ins Rollen bringen dürfte. "Willkommen im Krieg", sagt George Orzech, Verwalter der Rentenfonds von Polizei und Feuerwehr. Wer vertraglich zugesicherte Pensionen streiche, verletzte die Verfassung von Michigan, urteilte eine Richterin am Tag nach der Bankrotterklärung. Kurzum, dass der Krisenmanager seinen Fahrplan einhält und in 14 Monaten eine sanierte Kommune hinterlässt, glauben im Moment nur die kühnsten Optimisten.

Wackliger Fahrplan

Bei alldem kann man nicht sagen, dass Orr es sich einfach macht. Eigentlich sollte er bei Jones Day, der internationalen Anwaltskanzlei, für die er seit 2001 arbeitet, unter anderem mit der Insolvenz des Autokonzerns Chrysler betraut, im Frühjahr eine Filiale im sonnigen Miami aufbauen. Stattdessen folgte er dem Ruf Rick Snyders, des Gouverneurs von Michigan, der wiederum Fingerspitzengefühl beweisen wollte mit seiner personellen Entscheidung. Orr ist Demokrat, nicht Republikaner wie Snyder, sodass es Kritikern schwerer fällt, von konservativer Kahlschlagpolitik zu sprechen. Obendrein hat er dunkle Haut. "Ich bin Spezialist fürs Umstrukturieren", sagt er über sich selber, "und zufällig bin ich ein afroamerikanischer Spezialist fürs Umstrukturieren in einer Stadt, die zu 83 Prozent afroamerikanisch ist."

 (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 29.7.2013)