Nein, Erwin Wurm gehört nicht zur Spezies der langschlafenden, dem Alkohol zugeneigten und verkannten Künstler. Was er über die denkt, notierte er auf seinen vielen Flugreisen zu einer Wortskulptur, wie er seine Polemik über Künstler, Kunst und Markt nennt.
In der Albertina zeigte er kürzlich übermalte Fotos nackter Künstlerfreunde in Büßerposen: ein Versuch, so Wurm, das Bild des Künstlers als "Leidender" in der Welt zu hinterfragen. Er selbst glaubt eher an die Leichtigkeit und Leichtfüßigkeit künstlerischen Schaffens, an die wohltemperierte Provokation eines nach Überraschung dürstenden Kunstpublikums. Der (internationale) Erfolg gibt ihm recht, seine Arbeiten finden sich in allen wichtigen (Museums-)Sammlungen in aller Welt.
Zumeist sind es Dinge und Themen des Alltags, die den Vater zweier (fast) erwachsener Söhne aus seiner ersten Ehe mit der Künstlerin Dorothee Golz sowie einer kleinen Tochter mit seiner zweiten Frau Elise Mougin, ebenfalls Künstlerin, inspirieren. In der Wahl der Mittel - Fotografie und Video, (Über-)Malerei, Skulptur, Installation - lässt sich der 59-Jährige nicht festlegen, baute zunächst Skulpturen aus Brettern und Blech, bemalte sie, sprengte mit Skulpturen aus Staub, aus Mänteln und Pullovern, aus Plastikwürstchen lustvoll Grenzen der Bildhauerei.
Nun erhält der Erfinder des Kunstgurkerls, der One Minute Sculptures, für die Freunde, Kollegen und Sammler in seltsamen Stellungen posierten, und des Fat Porsche die höchstrangige Auszeichnung, die in Österreich für kulturelle und künstlerische Leistungen verliehen wird: den mit 30.000 Euro dotierten Großen Österreichischen Staatspreis.
Er zähle, begründete der Präsident des Kunstsenates, der Schriftsteller Josef Winkler, zu den international einflussreichsten österreichischen Künstlern; sein vielschichtiges Werk sei "überaus facettenreich, radikal, satirisch, ironisch und surreal". Humor, erläuterte der "Wahnwitzkünstler" (© Die Zeit), sei für ihn eine Waffe, um den Alltag aus einer anderen Perspektive zu zeigen.
Da landete etwa 2011 das Elternhaus des 1954 in Bruck an der Mur geborenen Polizistensohnes im Garten des venezianischen Palazzo Franchetti, 16 Meter lang und sieben Meter hoch originalgetreu nachgebaut, allerdings nur 1,38 Meter schmal. Der Schlossbesitzer liebt den geistreichen Dialog zwischen kleinbürgerlicher Enge und (aristokratischer) Großbürgerlichkeit: in Wort und Werk. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 27./28.7.2013)