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Ein Bild aus dem Sommer 2012: Ein Plakat zeigt Hamas-Premier Haniyeh mit Ägyptens frischgebackenem Präsidenten Morsi.

Foto: :Hatem Moussa/AP/dapd

Die Vorwürfe der Justiz gegen den gestürzten Präsidenten Mohammed Morsi haben das Zeug, das ganze Narrativ der Revolution von Jänner/Februar 2011 infrage zu stellen: dass sie eine von Jungen, Liberalen getragene Bewegung war, die die gesetzte Muslimbruderschaft beinahe verschlafen hätte und auf die sie erst spät aufgesprungen ist. Die Anklage - an der die Justiz nicht erst seit dem Sturz Morsis, sondern seit Monaten arbeitet - erzählt hingegen eine andere Geschichte: Die Muslimbrüder hätten schon vor dem 25. Juni mit der Hamas konspiriert, um die Situation auf den Straßen anzuheizen und hochrangige Muslimbrüder - unter ihnen Morsi - aus dem Gefängnis Wadi al-Natrun zu befreien.

Der Vorwurf Hochverrat (Verschwörung zu staatsfeindlichen Akten) bezieht sich darauf, dass die Muslimbrüder die Hamas - also ein ausländisches Element - auf ägyptischem Boden eingesetzt hätten. Die Story, die von al-Masry al-Youm bereits im Mai recherchiert wurde, geht so: Die Staatssicherheit soll im Besitz von Niederschriften von fünf Telefongesprächen sein, die zwischen Muslimbrüdern untereinander beziehungsweise zwischen Muslimbrüdern und Hamas-Mitgliedern geführt wurden. In zwei Gesprächen vor der Großdemonstration am 25. Jänner 2011 (die der Revolution später ihren Namen gab) reden Muslimbrüder - einer davon soll Morsi selbst sein - von den "Nachbarn", die bereitstehen sollen, um bei den bevorstehenden Demos mitzumischen. Mit "Nachbar" sei die "Hamas" gemeint, so die Justiz.

Am 24. Jänner spricht dann ein Muslimbruder mit einem Hamas-Mann und fragt ihn, ob sie wissen, was sie zu tun hätten, der antwortet: "Absolut." Und am 25. findet die Massenkundgebung statt. Vom 2. Februar, als das Ganze etwas stockt und das Regime seine Schergen ausschickt, gibt es ein Gespräch, wonach Hamas-Mitglieder hinter dem Ägyptischen Museum Aufstellung genommen hätten, um mit "Steinschleudern" zu schießen und zu provozieren. Am 11. Februar findet dann das letzte aufgezeichnete Telefonat statt, in dem der Muslimbruder seinem Hamas-Gesprächspartner dankt: "Wir stehen in eurer Schuld."

Die ganze Geschichte ist noch komplizierter, es gibt andere Details, unter anderem, dass der damalige Sicherheitschef die Aufzeichnungen an die Nummer zwei der Muslimbrüder, Khairat al-Shater, weitergegeben haben soll - was wiederum viele so interpretieren, dass Staatssicherheit und Muslimbrüder unter einer Decke steckten.

Der Sturm auf das Gefängnis von Wadi al-Natrun, in dem Morsi und weitere Dutzende Muslimbrüder am 30. Jänner 2011 befreit wurden, wurde laut Muslimbrüdern von der lokalen Bevölkerung durchgeführt. Laut Gefängnisdirektor waren es etwa 80 bestens bewaffnete Leute.

Nicht nur Hosni Mubaraks letzter Innenminister, Habib al-Adly, auch der erste Innenminister unter der Militärratsregierung, Mansur al-Essawy, hatte gesagt, die Männer seien von der Hamas gewesen. Auch Hisbollah-Mitglieder sollen an der Befreiung von Gefängnisinsassen mitgewirkt haben. Insgesamt wurden während der Revolution 2011 elf Gefängnisse gestürmt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 27./28.7.2013)