Ersatzhandlung Eremitage: Wohl deshalb, da Wilhelmine letztlich doch nicht als Königin in London weilte, verschönerte sie Bayreuth.

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"Ich sehe keinen Vorteil in der Abgelegenheit von Bayreuth. Alles ist so schwer zu erreichen", sagte Katharina Wagner dem Spiegel. Und als Intendantin der Bayreuther Festspiele, die bereits seit dem 25. Juli laufen, verflucht sie ihren Urgroßvater Richard angeblich tagtäglich für seine Standortwahl - selbst im bombastischen "Wagner-Jahr 2013".

Auch wenn sie mit der Äußerung viel Kritik eingeheimst hat, ist ihre Feststellung nicht von der Hand zu weisen. Denn die oberfränkische Kleinstadt ist in der Tat nicht so einfach zu erreichen. Es gibt zwar einen Flughafen, aber ohne nennenswerte Verbindungen. Und so sitzt man dann von Nürnberg aus in einem Bummelzug auf einer teilweise eingeleisigen Strecke und muss erst diverseste Käffer durchqueren, bevor man in Bayreuth ankommt.

Als einen ähnlichen Standortnachteil für ihr persönliches Leben muss auch die preußische Prinzessin Wilhelmine ihre Ankunft hier empfunden haben. Sie kam nach Bayreuth, weil sie anstatt mit dem englischen König "nur" mit dem Markgrafen Friedrich verheiratet wurde. Selbst ist die Frau, mag sie sich dennoch gedacht haben, und machte sich kurzerhand daran, ihre eigenen Rahmenbedingungen zu verbessern.

Hundert Prozent Wilhelmine

Zuerst brachte sie das Kulturleben der Stadt in Schwung, und dann begann sie eine umfangreiche Bautätigkeit: vier Theater, ein neues Schloss, zwei erweiterte Landsitze, und, und, und. Als Besucher gewinnt man ohnehin den Eindruck, dass 80 Prozent der Bayreuther Sehenswürdigkeiten auf Wilhelmine zurückgehen. "Hundert Prozent", fügen manche Einheimische polemisch hinzu. Und irgendwie erinnert einen dieses Phänomen an gegenwärtige Entwicklungen in der Golfregion, wo es etwa in Bahrain oder Katar die gebildeten und weltoffenen Eliten sind, die die Kulturinstitutionen ihrer Länder in einem rasanten Tempo quasi im Alleingang auf Vordermann bringen.

Von Wilhelmines vier Theatern hat leider nur eines überlebt, dieses ist aber ein besonderes Juwel: Das Markgräfliche Opernhaus ist eines der letzten erhaltenen hölzernen Barocktheater Europas. Große Teile des Films Farinelli wurden hier gedreht, und 2012 wurde es völlig zu Recht in den Unesco-Welterbestatus erhoben. Allerdings setzte diese Ehre wiederum einen Renovierungsprozess in Gang, sodass man noch ein wenig wird warten müssen, um das Haus in seiner ursprünglichen Bestimmung erleben zu können.

Und vielleicht schafft man es ja auch, wieder ein Werk der Markgräfin aufzuführen. Denn diese im nicht sehr hohen Alter von 49 Jahren verstorbene Powerfrau schaffte es neben den oben erwähnten Tätigkeiten auch noch zu malen, Opernlibretti zu verfassen, diese zu vertonen und die so entstandenen Gesamtkunstwerke selbst am Cembalo zu begleiten. Chapeau!

Zwanglos repräsentativ

Jetzt schon problemlos zu bestaunen sind zwei weitere Kreationen der preußischen Wonderwoman: das Neue Schloss und die Eremitage. Ersteres wurde zur Zeit seines Entstehens als "zu bürgerlich" mit "zu kleinen Zimmern" kritisiert. Betrachtern von heute gefällt gerade dieser Umstand. Hier scheint Wohlstand noch dem Wohlbefinden zu dienen, hier scheint der Zwang zur Repräsentation noch nicht die eigene Lebensqualität zu zerstören. Besonders sichtbar wird das im linken Teil, dem Frauenflügel: Alles darinnen ist hell, freundlich, nahezu bunt, an den Wänden hängen Porträts von Künstlern und Musikern. Im rechten Herrenflügel hingegen ist alles düster, mit Feldherrenbildern zugehängt.

Bayreuth darf man jedenfalls nicht verlassen, ohne vorher die ein wenig außerhalb gelegene Eremitage besucht zu haben. Hier hat sich Wilhelminchen selbst übertroffen: mit einem Sonnentempel, 40 Büsten römischer Kaiser, Wasserspielen, über den Park verteilten Teepavillönchen und einem in Ruinen liegenden Hundegrab.

Und wer es partout nicht sein lassen will, kann sie sich derzeit am späten Nachmittag auf einem grünen Hügel in einem provisorisch wirkenden Holzbau, von dem aus man nicht einmal das Orchester sieht, ja anhören: die sehr, sehr langen Obarn (fränkischer O-Ton für Opern) von Katharina Wagners Urgroßvater. (Robert Quitta, DER STANDARD, Album, 27.7.2013)