Santiago de Compostela - Bei den Ermittlungen zum schwersten Zugunglück in Spanien seit dem Zweiten Weltkrieg rückt der Lokführer immer mehr in den Mittelpunkt. Der Mann wurde verhaftet und sollte am Freitag erstmals zu dem Unglück bei Santiago de Compostela verhört werden. Dem 52-Jährigen werde vorgeworfen, zumindest mitschuldig an der Entgleisung kurz vor Santiago de Compostela in Norden des Landes zu sein, teilte der Chef der Polizei in Galicien, Jaime Iglesias, am Freitag mit.
Vorwurf der Fahrlässigkeit
Polizeichef Iglesias machte keine näheren Angaben darüber, was dem Lokführer genau vorgeworfen werde. Auf Nachfrage sagte er lediglich, es gehe um Fahrlässigkeit in Zusammenhang mit dem Unfall.
Der folgenschwere Unfall wurde offenbar durch viel zu hohe Geschwindigkeit verursacht. Einem Zeitungsbericht zufolge konnte der Lokführer nicht mehr rechtzeitig bremsen.
Blackbox soll Aufschlüsse zum Unfallhergang geben
Bei dem Zugsunglück waren am Mittwochabend nach neuen Angaben der Polizei mindestens 78 Menschen ums Leben gekommen. Von den rund 180 Verletzten lagen am Freitag noch immer 83 im Krankenhaus, 32 von ihnen waren schwer verletzt. Der Lokführer hatte die Katastrophe mit leichten Verletzungen überlebt.
Eine Schlüsselrolle kommt der Auswertung des Unfalldatenschreibers zu. Bei einer ersten Auswertung der Blackbox sei festgestellt worden, dass der Zug wenige Kilometer vor der Einfahrt in den Bahnhof von Santiago in einem Tempo-80-Bereich mit 190 km/h unterwegs war.
Mögliche Mängel am Bremssystem untersucht
Neben dem Verhalten des Lokführers untersuchten die Ermittler nach Angaben der Zeitung "El Pais" auch mögliche Mängel am Bremssystem. Der Zug habe zu spät gebremst.
Das automatische Überwachungssystem der Bahn habe zwar Alarm geschlagen, weil der Zug zu schnell unterwegs gewesen sei, schrieb "El Pais". Der Lokführer habe versucht zu bremsen, habe die Tragödie aber nicht verhindern können.
Bahngesellschaft schließt technisches Versagen aus
Die Bahngesellschaft Renfe hatte am Donnerstag ein technisches Versagen an dem Zug ausgeschlossen. Bahnchef Julio Gomez-Pomar Rodriguez versicherte, der Zug sei erst am Morgen vor dem Unglück kontrolliert worden, die Wartung sei "perfekt" gewesen.
Laut der Lokführer-Gewerkschaft ist der größte Teil der Strecke mit einem automatischen System der Geschwindigkeitskontrolle namens ERTMS ausgerüstet. Gewerkschaftschef Juan Jesus García Fraile sagte aber am Donnerstag, genau vier Kilometer vor Santiago ende dieses System. Daneben gebe es noch ein System namens ASFA, das die Einhaltung der Signale überwache. Dieses System sei jedoch "etwas abhängiger vom menschlichen Faktor", fügte Fraile hinzu.
Angeblich mit hohem Fahrttempo geprahlt
Der 52-jährige Lokführer soll in der Vergangenheit auf Facebook mit seinem hohen Fahrtempo geprahlt haben. Der Eisenbahner habe einmal auf seiner Facebook-Seite das Foto eines Zug-Tachometers veröffentlicht, der 200 Stundenkilometer anzeigte, berichteten spanische Zeitungen. Das Bild habe er mit den Worten kommentiert: "Ich bin am Anschlag, ich kann nicht schneller fahren, sonst kriege ich eine Strafe." Laut welt.de gibt es allerdings Zweifel über die Echtheit des Fotos bzw. des Accounts.
Den Berichten der spanischen Medien zufolge schrieb der Lokführer einmal auf seiner inzwischen gesperrten Facebook-Seite: "Was für ein Spaß das wäre, sich ein Rennen mit der Guardia Civil (Polizei) zu liefern und sie zu überholen, so dass ihr Radar in die Luft gehen würde, haha. Was für eine Riesenstrafe für (die staatliche Eisenbahngesellschaft) Renfe." Laut Renfe ist der 52-Jährige seit 30 Jahren bei dem Unternehmen angestellt und verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung als Lokführer. (APA/red, derStandard.at, 26.7.2013)