1971 verdienten Stoßstangen ihren Namen noch. Eine Beule im Stangl des NSU 1200 TT ist alles, was bleibt, nachdem ihr eine Pagode bei der Ennstal Classic zu nahe kommt. Schmerzbefreit fahren die mehr als 200 Starter mit Oldtimern über Berge und Rennstrecken

"Den 50er-Schnitt schaffen wir nur, wenn uns einer anschiebt." Die erste Sonderprüfung der Ennstal Classic führt auf den Stoderzinken. Auf einer Länge von mehr als acht Kilometer müssen wir mit dem NSU 1200 TT aus dem Jahr 1971 einen Schnitt von genau 48,2 km/h halten. Nach 500 Metern ist aber schon klar, das funktioniert nicht, mit einem Auto, das bergauf gerade einen 40er fährt.

Nach einem Kilometer hat uns der 911er, der 30 Sekunden nach uns gestartet ist, bereits überholt. Einen Kilometer weiter taucht ein Mercedes W 113 vulgo Pagode im Rückspiegel auf und füllt diesen bald zur Gänze aus. Die Straße ist eng, Platz zum Überholen gibt es nicht. Bei Kilometer 3,1 reißt dem Pagoden-Piloten der Geduldsfaden, er schert aus, beschleunigt und geht erst vom Gas, als die Stoßstange des NSU mit dem Stern-Scheinwerfer lautstark anbandelt.

"Hinten drin statt nur dabei." – "Ist Ehrgeiz also wirklich die letzte Bastion der Talentlosen?"

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Oben am Stoderzinken dann Schadensbesichtigung. In den 1970ern haben Stoßstangen ihren Namen noch verdient. Der NSU, eine Leihgabe von Audi Tradition, hat eine leichte Beule in der Stoßstange und eine Delle im Blech. Die Pagode ist rechts vorn finster und wird mit einem Plastiksackerl und Gafferband verarztet.

Wie als Bestätigung dafür, dass bei der Ennstal Classic ohne Klischees gar nichts geht, ist der Lenker der Pagode ein junger Inder. Und er fährt, wie man es den Indern nachsagt. Auch die nächsten Tage. Zur Belohnung hält ihn tags darauf ein Motorradpolizist bei einer Gleichmäßigkeitsprüfung auf und ermahnt ihn, der Straßenverkehrsordnung entsprechend zu fahren. Eine Kehre weiter ist klar, dass er nicht gedenkt, am 50er-Schnitt wegen des kurzen Stopps zu scheitern. Das Plastiksackerl hat bereits einem neuen Scheinwerfer Platz gemacht.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Gleichgültigkeitsrennen

Platz macht auch der NSU, sobald die Pagode im Rückspiegel auftaucht. Die beiden Betreuer, die den Wagen von Audi Tradition hierher ins Ennstal begleitet haben, sollen wieder ein halbwegs erhaltungswürdiges Fahrzeug mit nach Neckarsulm nehmen. Zudem ist der Ehrgeiz, im NSU bei einem Gleichgültigkeitsrennen, wie wir es (statt Gleichmäßigkeitsrennen) nennen, ganz vorn dabei zu sein, nicht übertrieben.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Wir wollen unseren Spaß. Den findet man nicht, wenn die Augen nur zwischen Roadbook, Stoppuhren und Tripmastern herumwandern. Dazu ist die Landschaft, durch die die Ennstal Classic führt, auch viel zu sehenswert.

Vielleicht haben wir schon allein deshalb gleich gar keinen Tripmaster und nur eine Stoppuhr, die nicht richtig funktioniert.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Letzteres ist aber gar kein so großes Problem, weil der Navigator ohnedies die meiste Zeit im Fußraum verbringt und nach dem Handwecker sucht. Zwischen den Schuhen hat er sich nämlich ein eigenes Universum der Entropie geschaffen, in dem Uhr, Roadbook, Getränke, Kamera und Optiken um sich kreisen. Am Anfang ist es ungewohnt, bei dem hohen Tempo der Ennstal Classic in einem alten Auto vom Beifahrer eher die Füße als das Gesicht auf Höhe der Kopfstütze zu sehen. Aber man gewöhnt sich an alles. Nur als er am zweiten Tag, über die Wildalpen plötzlich ein Nickerchen einlegt, da ist die Verwunderung doch groß.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Denn der NSU ist inzwischen eingefahren, beschleunigt gut und läuft mehr als 130 km/h – nicht einmal vor einem Ferrari hat er mehr Respekt und lässt ihn, unter Aufwartung seiner ganzen 65 PS, regelrecht stehen.

Ende der 1960er bis Anfang der 1970er war der 1200er-Prinz ein begehrter Sportwagen. Das Gewicht von weniger als 700 Kilogramm und der Heckantrieb machten ihn zu einem echten Kurvenräuber. Aufgebaute Prinzen sammeln heute noch bei Bergrennen Pokale gegen modernere Fahrzeuge.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Bei der Ennstal Classic ist der Prinz selbst einer der Modernsten. Er ist nicht der Stärkste, er ist nicht der Teuerste, aber er ist der Sieger der Herzen. Entlang der Strecke stehen beinah überall Zuseher – so viele sogar, dass es kaum möglich ist, sich zu verfahren. Ja, schon gut, wir schaffen es am zweiten Tag in einer Sonderprüfung trotzdem. Das lag aber auch daran, dass sich da ein Bauer vom Hof aus alle Autos anschaute, die sich zu ihm verirrten.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Jedenfalls: Links und rechts der Straße stehen fast durchgehend Fans der Histo-Rallye. Sie sehen Bentleys, Porsches, Lambos, Morgans, fette 600-PS-Amis, Rennwagen aus einer Zeit, in der es keine andere Farbe als Schwarz gab. Aber wenn der NSU ums Eck kommt, dann springen die Zuschauer aus den Gartensesseln, beginnen zu jubeln, und man kann von ihren Lippen die Buchstaben "NSU" ablesen.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Therapie für Ungeliebte

Wenn es die Pausen vor den Zeitkontrollen erlauben, dann ergehen wir uns nicht wie die Fahrer mit den aufgestellten Polohemd-Krägen im Gesudere über die lausige Verpflegung (Wurstsemmeln), sondern freuen uns über ein kaltes Wasser und eine Zigarette. Dabei hören wir uns ei­ne Vielzahl von NSU-Geschichten an, von denen fast jeder Besucher eine auf Lager hat. Dazwischen geben wir Kindern Autogramme in den Prospekt der Ennstal Classic. Durch den Jubel und das Interesse fühlen wir uns fast schon ein wenig wichtig. Zwischendurch analysieren wir, dass die Teilnahme an der Ennstal Classic wohl die perfekte Therapie für Menschen wäre, die zu wenig Aufmerksamkeit bekommen.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Gut, die Behandlung ist nicht ganz billig. Mehr als 2000 Euro blättert man allein für den Start hin. Dann braucht man aber auch noch ein Auto, das die Tortur aus holprigen Bergstraßen, Red-Bull-Ring und der Beschleunigungssonderprüfung auf dem Flugfeld übersteht. Die meisten Teilnehmer scheinen da sehr schmerzbefreit zu sein. Am vorsichtigsten agieren noch die Promis mit den gestellten Boliden.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Wie sich die dann bei den Abendveranstaltungen aufführen? Wer ihnen den Hof macht? Worüber die Fahrer dort reden, und was sie trinken? Keine Ahnung. Wir haben diese Feste ausgelassen. Die 350 Kilometer am ersten, die 450 Kilometer am zweiten Tag schlauchten uns ganz schön. Wir hatten perfektes Wetter, Sonnenschein bei mehr als 30 Grad Celsius – und keine Klimaanlage. Wenn einem den ganzen Tag der Wind durchs offene Fenster ans Ohr trommelt, dann braucht man am Abend den Rummel nicht mehr unbedingt.

Foto: Wolf-Dieter Grabner

Die wahren Helden der Ennstal Classic sind dort wohl eh nicht zu finden wie der Fahrer des grünen 911er, der gleich hinter uns startete. Einmal warf er seinen Porsche fast in den Graben, nur um uns die rechtzeitige Durchfahrt durch die Lichtschranke zu ermöglichen. Funken spritzen aus dem Heck des 911ers, als er am Bankett aufsetzte. "Ach, das war ja nichts", kommentierte er danach die Situation, die ihm wohl einen Platz kostete. Und es war nicht der letzte Platz, den er wegen uns verloren hat. Aufgeregt hat er sich nicht, er, der am Ende Zwölfter wurde, während wir den NSU nur auf Platz 134 fahren konnten.  (Guido Gluschitsch, DER STANDARD, Automobil, 26.7.2013)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Die Teilnahme an internationalen Fahrzeug- und Technikpräsentationen erfolgt großteils auf Basis von Einladungen seitens der Automobilimporteure oder Hersteller. Diese stellen auch die hier zur Besprechung kommenden Testfahrzeuge zur Verfügung.

Foto: Wolf-Dieter Grabner