Die EU-Kommission berät, ob der Ausbau der Wasserkraft im Kauner- und Platzertal öffentliches Interesse ist.

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Innsbruck/Brüssel - Nicht nur Bauern sind gegen den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal, auch Umweltorganisationen, die Grünen und der Tourismusverband Ötztal. Nun will der Tiroler Energieversorger Tiwag mithilfe der EU-Kommission Tempo machen. Mittwoch beriet die Generaldirektion Energie über die Aufnahme des Projekts in die Liste der "Vorhaben von gemeinsamem Interesse". Bei Redaktionsschluss stand noch nicht fest, ob das umstrittene Kraftwerk von europäischem, also öffentlichem Interesse ist.

Für Thomas Diem vom World Wide Fund For Nature (WWF) wäre eine Entscheidung für das Kraftwerksprojekt eine "von Brüssel verordnete Flusszerstörung". Denn durch den Ausbau würden die Gurgler und Venter Ache, die seit 1998 nationale Flussheiligtümer sind, zerstört und damit auch das Platzertal. Diem fordert: "Umweltminister Berlakovich muss die Notbremse ziehen."

"In Brüssel dürfen Betroffene nicht mitentscheiden"

Mithilfe der EU-Kommission bekäme das Projekt einen Sonderstatus mit beschleunigten Genehmigungsverfahren bei der Umweltverträglichkeitsprüfung, befürchtet der WWF. Der jüngste Bericht der Umweltschutzabteilung der Tiroler Landesregierung zeige klar, sagt Diem, "dass die gesundheitsbezogenen Grenz- und Richtwerte durch die Staubbelastung während der Bauphase des Kraftwerks zum Teil erheblich überschritten werden". Gefährdet sei nicht nur die Umwelt, sondern auch die Gesundheit der Bevölkerung.

Diem sieht auch demokratiepolitische Bedenken: "13.000 Menschen haben sich mit ihrer Unterschrift gegen den Ausbau ausgesprochen, in Brüssel dürfen weder Betroffene noch Umweltorganisationen mitentscheiden."

Bedrohung für Schutzgebiet

Eva Lichtenberger, EU-Abgeordnete der Grünen, will nun in einer Anfrage wissen, was die ausschlaggebenden Kriterien dafür waren, das Kraftwerk Kaunertal in die Liste aufzunehmen, und wie das Kraftwerksprojekt zu den gemeinsamen Interessen beitragen könnte. Lichtenberger verweist auf die Bedrohung des nahen Natura-2000-Gebietes Ötztaler Alpen. Der Staubereich des Kraftwerks Kaunertal reiche bis ins Schutzgebiet. Vier Wildflüsse und -bäche sollen laut Lichtenberger über Rohr- und Stollensysteme quer durch das Natura-2000-Gebiet in den Speicher umgeleitet werden, zudem soll ein neuer Speichersee im Platzertal, am Rande des Schutzgebietes, gebaut werden.

Die Tiwag verspricht dem Ötztal durch den Ausbau, ein 1,3-Milliarden-Projekt, nicht nur die Einsparung von 500.000 Tonnen CO2 jährlich, sondern auch regionale "Zukunftspakete" wie verbesserten Hochwasserschutz und Infrastrukturprojekte. Das Projekt wurde vor einem Jahr eingereicht, und es wurde ein Antrag auf Umweltverträglichkeitsprüfung gestellt. (Jutta Berger, DER STANDARD, 25.7.2013)