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Ein Raubprozess, der eigentlich ein Dutzendfall ist, bekommt am Montag in Wien eine besondere Bedeutung: Angeklagt sind die Komplizen des in der U-Haft vergewaltigten 14-Jährigen.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Es geht im Saal 101 des Wiener Straflandesgericht eigentlich um einen, der nicht im Raum ist. Um den 14-jährigen Kevin W., der im Mai in Untersuchungshaft im Gefängnis Wien-Josefstadt von Mithäftlingen vergewaltigt worden ist. Sein Verfahren wegen versuchten schweren Raubes wurde auf später verschoben, also sitzen seine Komplizen Volker P. und Michael M. allein vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Daniela Zwangsleitner.

"Bei Jugendlichen, die in U-Haft kommen, sprechen wir von schweren Straftätern", hatte Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) im Juni nach Bekanntwerden der Vergewaltigung gesagt. Dementsprechend groß ist Montagnachmittag das Medieninteresse. Schließlich will man wissen, was die Jugendlichen eigentlich gemacht haben.

15 Jahre ist P. alt, M. ist drei Jahre älter. Begonnen hat die Geschichte mit dem Begräbnis von M.s Großvater am 29. April. "Wir waren in der Wohnung vom Opa, und ich habe meine Eltern gefragt, ob ich mir zwei Messer von ihm als Andenken mitnehmen kann", sagt er. "Die haben 'Ja' aber mach keinen 'Scheiß' gesagt." "Da hätten Sie besser auf Ihre Eltern gehört", meint Zwangsleitner.

Er tat es nicht, sondern traf sich mit seinen Freunden P., W. und einem erst Zwölfjährigen. Erstangeklagter P. sah die Messer und hatte eine Idee: "Mir ist ein Gedanke gekommen und wir hatten alle kein Geld." Der Gedanke: Jemanden die Messer vorzuhalten und Geld zu fordern.

Rollenaufteilung

Zunächst holte man noch Schals, um sich zu vermummen. Die Rollen wurden eher beiläufig aufgeteilt. Ein erster Versuch scheiterte noch. "Wir waren in einem Stiegenhaus. Fünf Minuten später ist eine alte Frau hereingekommen, aber der Michael ist plötzlich hinausgegangen", erzählt P. dem Gericht. "Ich habe es nicht geschafft. Vom Psychischen her halt", schildert M.

Vor der Tür tauschte man die Rollen. Statt M. bekam W. das Messer, M. und der Zwölfjährige sollten aufpassen. In einer Gasse fiel P. dann Helmut G. auf, der gerade bei seinem Auto stand. 72 Jahre ist das Opfer alt, aber deutlich rüstiger als andere in seinem Alter. "Plötzlich sind zwei vermummte Burschen vor mir gestanden und haben Messer gehalten", erzählt der Zeuge. "Der Wortführer sagte dann: 'Her mit der Marie, oder wir können das anders regeln.'" Die Täter rechneten nicht mit G.s Gelassenheit: "Wir können das sofort regeln - da oben steht ein Polizeiauto", antwortete er. Die Folge: Das Quartett lief davon.

"Ich war nicht sehr verschreckt. Die Burschen waren auch nicht sehr aggressiv", sagt er auf Nachfrage eines Verteidigers. Deren Mandanten stehen auf und entschuldigen sich bei ihrem Opfer. Das auf sie zugeht und ihnen die Hände schüttelt.

Vorsitzende Zwangsleitner will, wie immer mit strengem Blick, von den Unbescholtenen wissen, warum sie die Vorfälle ziemlich emotionslos schildern. Die Bewährungshelferin von P. springt ein: "Genau bei Burschen mit diesem Erfahrungshintergrund ist es normal, dass sie besonders cool wirken wollen. Das ist eine Überlebensstrategie, sonst würden sie es nicht aushalten."

Zwangsleitner blättert durch den Akt. "Sie hatten eine wirklich schwere Kindheit", sagt sie später in der Urteilsbegründung. Fast ein Euphemismus - beide schon früh in psychiatrischer Behandlung, einer der Väter selbst immer wieder in Haft, schwere Misshandlungen. Nach gut zehn Minuten Beratung dann das milde, nicht rechtskräftige, Urteil: 20 Monate Haft für P., 17 für M., drei davon jeweils unbedingt. Durch die verbüßte U-Haft können sie in acht Tagen heim.

Aufregung um Richterin

Kevin W. hat an diesem Montag für Zwangsleitner aber schon am Vormittag eine Rolle gespielt. Sie soll in einer anderen Verhandlung nämlich einem 23-Jährigen in Anspielung auf die Vergewaltigung mit Haft gedroht haben, berichtete die Austria Presse Agentur. Was Zwangsleitner auf Nachfrage des STANDARD entrüstet bestreitet. "Ich habe nur darauf hingewiesen, dass es in der Haft nicht nett ist, das sage ich aber bei jeder bedingten Strafe dazu." (Michael Möseneder, DER STANDARD, 23.7.2013)