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Wien - Im Frühjahr 2010 lief im Wiener Renner-Institut das Telefon heiß. Außen- und Kanzleramt hatten Wind von einer Veranstaltung namens "Österreich ist hinternational" bekommen. Unter diesem Titel wollte Politologe Helmut Kramer eine so fundierte wie harmlose Kritik hiesiger Außenpolitik vortragen. Was als akademische Routine erschien, war für Ballhaus- und Minoritenplatz entschieden zu viel an Gedankenfreiheit in der SPÖ-Denkwerkstatt. Michael Spindelegger und Werner Faymann ließen intervenieren. Kramer musste seine Rede modifizieren. Gehalten wurde sie schließlich unter dem braven Titel "Vortrag zur Entwicklung der österreichischen Außenpolitik". 

Damals waren Kanzler, Außenminister und Regierung noch relativ frisch im Amt. Mit viel Nachsicht durfte der Wohlmeinende hoffen, dass die internationalen Beziehungen der Republik vielleicht doch noch etwas mehr Fahrt aufnehmen könnten. Heute ist Hoffnung kein Posten mehr in dieser Bilanz: Österreichs Außenpolitik ist in miserablem Zustand. Statt - möglicherweise - guter Absichten steht eine Art Triumph des Unwillens im Saldo. "Außen- und Sicherheitspolitik gesucht", auf diese Annonce antworten selbst Spitzendiplomaten in Wien halb im Scherz, halb verzweifelt: "Bitte geben Sie mir Bescheid, wenn Sie sie gefunden haben." 

Zwischen Europa ...

Die Suche ist in der Tat schwierig. Der oft angestrengte Vergleich mit den guten Tagen unter Bruno Kreisky und Österreichs Führungsrolle bei den einst Blockfreien ist längst unzulässig. Seit dem EU-Beitritt sind die Spielräume Wiens enger geworden. Die Bedeutung traditioneller internationaler Beziehungen hat sich verringert, gemeinsame europäische Außenpolitik in einer globalisierten Welt ist wichtiger geworden - vor allem für eine kleine, offene Volkswirtschaft. Sechs von zehn Euro in Österreich werden jenseits der Landesgrenzen verdient.

Dennoch ist nicht zu erkennen, dass Wien innerhalb dieser neuen Rahmenbedingungen mit Visionen, substanziellen Initiativen oder strategischem Weitblick auffiele. Im Gegenteil: Viel zu oft bleiben Definition und Selbstvergewisserung nationaler Interessen durch die Macher österreichischer Außenpolitik unterlassen. Politische Zielvorgaben, Einflussnahme und konkrete Aktionen fehlen, erst recht dann, wenn es über die althergebrachten Sphären Balkan, Donauraum und Schwarzmeer hinausgehen soll. 

Zusammen hängt dieses Manko mit evidenten Defiziten der politischen Akteure: Österreich hat viele herausragende Diplomaten, aber kaum noch versierte Außenpolitiker. War das Metier einst noch Königsdisziplin im Nationalrat, findet sich heute kaum noch ein junger Abgeordneter, der sich damit profilieren möchte. Die Malaise setzt sich mit größerer Dramatik in der Bundesregierung fort. 

Der Kanzler definiert sein politisches Credo in kleinem Kreis so: "Man muss durch einen Bienenschwarm gehen können, ohne gestochen zu werden." Dementsprechend indifferent sind Faymanns außenpolitische Positionen. Dass er neuerdings als Europapolitiker glühen soll, kann etwa im deutschen Kanzleramt nicht bestätigt werden. Über die Besuche ihres österreichischen Amtskollegen, heißt es dort, habe Angela Merkel gesagt: "Er kommt mit keiner Meinung rein und geht mit meiner Meinung wieder raus." 

Spindelegger dagegen absolvierte in seinen Zeiten als "Nur"-Außenminister ein enormes Reiseprogramm. Er tingelte als Handelsreisender für Österreich (das ist nicht nur legitim, sondern auch bitter notwendig), Multilateralist und Christenretter durch die Welt. Aber schon damals war zu erkennen, dass die Koordinaten seiner Machtmatrix über die x-Achse Niederösterreich und die y-Achse ÖAAB definiert waren. Seit er Volkspartei-Chef ist, hat die "Innenpolitisierung der Außenpolitik" (Helmut Kramer) bei ihm einen noch deutlicheren Vorrang. Im Verhältnis zu anderen Ländern vergleichbarer Größe und Verfasstheit hat Österreich deutlich weniger internationales Gewicht. Schweden oder Finnland dagegen gelten etwas, weil sie Präsenz, Initiative und auch finanzielle Untermauerung dafür zeigen. 

... und mangelnder Ambition 

Einzig Bundespräsident Heinz Fischer, der aus der längst abgekommenen internationalistischen Tradition der SPÖ kommt, hebt sich von der überschaubaren Performance ab. Er macht Kilometer, trifft Entscheider, öffnet Türen - so sehr, dass ihm die Wirtschaft (s. Direktinvestitionen) auf Knien dafür danken möchte. Die mangelnde Ambition der Regierung macht das nicht wett: holprige Verhandlungen zum EU-Budget, vergeigter Golan-Abzug und der deplorable Auftritt beim Nato-Gipfel in Chicago sind beredte Beispiele dafür.

Gleichzeitig werden Budget und Personalstand im Außenamt dramatisch gekürzt, Botschaften geschlossen, ohnehin anämische Thinktanks ausgehungert und die Entwicklungszusammenarbeit (siehe Grafik) auf einem empörend niedrigen Stand gehalten.

All das mag für sich noch kein bedrohliches Problem sein, in Summe drückt es aber aus, dass Österreichs Platz in der Welt kleiner wird. Das zehntreichste Land der Erde (IWF 2011) demontiert seine Möglichkeiten tatkräftig selber: "Wir leiden an einer Sucht nach geordneter, kontemplativer Mittelmäßigkeit. Neutralität heißt nicht, sich möglichst aus der Weltpolitik herauszuhalten. Aber die österreichische Realpolitik tut es. Wir kommentieren das Handeln der anderen", ächzt ein hochrangiger Diplomat. 

Und Ex-Außenminister Peter Jankowitsch fügte jüngst anlässlich seines 80ers gänzlich undiplomatisch hinzu: "Die österreichische Außenpolitik wurde einfach nach Brüssel delegiert. Wenn man nur dort sitzt und mit dem Kopf nickt, ist das keine Außenpolitik." (Christoph Prantner, DER STANDARD, 23.7.2013)