Mit der nicht mehr erwarteten Ankündigung der Wiederaufnahme von Direktverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern hat John Kerry am Freitagabend alle Beteiligten überrascht und beeindruckt. Doch auch nach der in den letzten Minuten vor seiner Heimreise improvisierten Pressekonferenz des US-Außenministers auf dem Flughafen von Amman gibt es noch immer Zweifel darüber, ob man wirklich schon verhandlungsreif ist, verknüpft mit unterschiedlichen Auslegungen dessen, was überhaupt vereinbart worden war.
Die Nebelwand, hinter der alle das Gesicht wahren können, ist offenbar ein Arbeitsinstrument Kerrys: "Die beste Art, diesen Verhandlungen eine Chance zu geben, ist, sie vertraulich zu halten", sagte er. Im gleichen Atemzug mit der Erfolgsmeldung flocht Kerry selbst auch ein, dass sein Vorbereitungswerk noch nicht abgeschlossen ist: "Die Vereinbarung muss noch formalisiert werden."
Konkret hat Kerry zwar ein erstes direktes Treffen der Unterhändler, Zipi Livni für Israel und Saeb Erekat für die Palästinenser, binnen ungefähr einer Woche in Washington in Aussicht gestellt, aber aus palästinensischer Sicht handelt es sich anscheinend noch nicht um den Beginn echter Verhandlungen. "Es gibt noch keine Einladung", sagte Präsidentensprecher Nabil Abu Rdene, "Details werden nächste Woche in Washington zwischen dem palästinensischen Unterhändler und dem amerikanischen Minister besprochen."
Für Präsident Mahmud Abbas ist es offenbar schwierig, vor seinem Publikum einzugestehen, dass er unter amerikanischem Druck auf seine Vorbedingungen - totaler Stopp des Siedlungsausbaus und die Linie von 1967 als Grundlage für die Grenzziehung – verzichten musste. Vermutlich werden nun die Amerikaner im Text der Vorvereinbarung die Linie von 1967 erwähnen, ohne dass Israel das akzeptieren muss.
Stillschweigend gebremst
Was den Siedlungsausbau betrifft, so hieß es in Israel, dieser sei stillschweigend ohnehin schon stark gebremst worden, ein offizieller Stopp komme nicht infrage. Bestätigt wurde von israelischer Seite, dass als Geste palästinensische Häftlinge freigelassen werden sollen, doch auch hier schieden sich die Geister. Nach israelischer Vorstellung sollen die Freilassungen graduell erst nach dem Beginn der Verhandlungen erfolgen, die Palästinenser erwarten, dass schon vor den Gesprächen alle seit mehr als 20 Jahren einsitzenden Häftlinge freikommen.
Rechte Koalitionspartner und Parteifreunde von Israels Premier Benjamin Netanjahu meldeten ihre Skepsis gegenüber dem anlaufenden Prozess an. Es gab aber keine Rücktrittsdrohungen, und der Fortbestand der Regierung gilt nicht als gefährdet, solange keine Verhandlungsergebnisse bekannt werden. Vor dem Ministerrat am Sonntag rechtfertigte Netanjahu die Verhandlungen als "lebenswichtiges strategisches Interesse des Staates Israel". "Das werden keine leichten Verhandlungen", sagte Netanjahu, "aber wir treten mit Redlichkeit und Ehrlichkeit in sie ein und in der Hoffnung, dass dieser Prozess in verantwortungsbewusster und ernsthafter Weise abgewickelt wird." Über ein etwaiges Ergebnis soll laut Netanjahu in jedem Fall das Volk abstimmen. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 22.7.2013)