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Große Gefühle bei Bregenzer Opernentdeckung: Magdalena Anna Hofmann (als Portia) und Charles Workman (als Bassanio).

Foto: APA/DIETMAR STIPLOVSEK

Musik und Regie begeisterten größtenteils.

Bregenz - Als zornigen, rachsüchtigen Menschen beschreibt ihn die Herausgeberin seiner Biografie, Anastasia Belina-Johnson, aber auch als pathologisch liebesbedüftig. Der Protektion Arthur Rubinsteins entzog sich der Schwierige, was seine Karriere als Pianist aber genauso wenig behinderte wie seine Überfaulheit und die Nervosität vor Konzertauftritten.

1935 in Warschau als Robert Andrzej Krauthammer geboren, wurde er von Mutter und Großmutter großgezogen. Die Mutter wurde 1942 in Treblinka ermordet, mit der Großmutter floh er aus dem Warschauer Ghetto, unter dem Namen Andrzej Czajkowski, der später zu André Tchaikowsky wurde. Neben seiner Konzerttätigkeit komponierte er, meist im Sommer, wie Gustav Mahler.

Seine Oper Der Kaufmann von Venedig stellte der bei Oxford lebende Pianist und Komponist Anfang der 1980er-Jahre an der English National Opera vor. Der dortige Musikdirektor war Mark Elder, weiters fiel Tchaikowsky "ein dunkler, junger Mann von fast ebensolcher Schönheit auf, der sich als David Pountney erwies", wie er über den szenischen Leiter des Hauses in seinem Tagebuch notierte. Nur wenig später, im Juni 1982, starb Tchaikovsky an Krebs, eine Aufführung der Oper kam nie zustande. Bis zum vergangenen Donnerstag: Ein Kontinuitätsbruch in der dreiteiligen Serie von Auftragsopern - nach Achterbahn (2011) und Solaris (2012) wird HK Gruber seine Geschichten aus dem Wienerwald erst 2014 präsentieren - machte es möglich, das Werk zu entdecken.

Gemäßigte Moderne

Lohnt sich das? Schon. Die gemäßigt moderne, an Berg und Schostakowitsch erinnernde Musik ist meist von schmalgliedriger Faktur; mit Leichtfüßigkeit und giftiger Schärfe folgt sie den Dialogen Shakespeares. Dieser hat in seinem aus mehreren Inspirationsquellen gespeisten Werk ein moralisches Drama mit einer romantischen Komödie gemischt, Sauerkraut mit Dragee-Keksi sozusagen. Die Sauerkraut-Welt liegt Tchaikowsky: Ballungen des Blechs ziehen vorüber wie dunkle Wolken, bissig spöttelt das Holz. Für die komödiantisch-romantische Schokoladenseite findet er zu wenig konträre Farben, was der Oper à la longue eine gewisse Eintönigkeit beschert.

Dasselbe passiert bemerkenswerterweise Keith Warner: Dem Regisseur gelingen klare, stimmungsvolle Bilder für die Geschäfts- und Gerichtsszenerien in Venedig (das Warner in der Zwischenkriegszeit des aufkommenden Faschismus ansiedelt); Portias Wohnsitz Belmont, der romantische Hotspot des Stücks, ist hingegen hässlich und grell ausgeleuchtet wie ein Baumarkt (Bühne: Ashley Martin-Davis).

Wer erwartet hatte, dass Tchaikowsky den Shylock für einen Charaktertenor und den Antonio für einen Bariton schreiben würde, ging fehl: Der in seinen Freund verliebte Kaufmann mit seiner jesusgleichen Duldermentalität wird von einem Countertenor gesungen (rührend: Christopher Ainslie). Im Gegensatz zur triefäugigen Lethargie Al Pacinos in der Verfilmung des Werks legt der souveräne Adrian Eröd den Shylock kraftvoll, stolz, engagiert an - aber spiegelt sein immerschöner Bariton die Figurhärte adäquat wider?

Der Einzige, der in der Produktion stimmlich einen unverwechselbaren Charakter zeigt, ist Richard Angas als Doge von Venedig. Alle anderen - Magdalena Anna Hofmann (Portia), Verena Gunz (Nerissa), Jason Bridges (Lorenzo), Charles Workman (Bassiano), David Stout (Gratiano) - singen so virtuos wie intensiv, aber auch mit wenig einprägsamen Farben. Die anspruchsvolle, mit vielen Soli gespickte Partitur des Werks ist für die Wiener Symphoniker eine Herausforderung, die sie auch dank der umsichtigen, präzisen Leitung von Erik Nielsen gewinnend bewältigen.

Im Epilog der Oper verkriecht sich der beraubte, gedemütigte Shylock in eine sargähnliche Truhe, wie um das bunte komödiantische Treiben, das nun auf Belmont einsetzt, nicht weiter miterleben zu müssen. Man könnte es auch als Bild für die Bregenzer Festspiele nehmen: Der düstre Kaufmann von Venedig ist bald abgespielt, die bunt-blinkende Zauberflöte wird bleiben und trägt den Sieg davon.  (Stefan Ender, DER STANDARD, 20./21.7.2013)