Ernst-Wilhelm Händler: "Der Überlebende".

Foto: S. Fischer

"Der Schöpfer ist der allein Existierende, alles andere Daseiende ist das Werk seines Willens und Wortes. Schöpfer bedeutet: Creator ex nihilo." Der diese Worte spricht, ist nicht die Hauptperson des neuen Romans von Ernst-Wilhelm Händler, sondern eine Nebenfigur, eine allerdings, die an entscheidenden Stellen ihren Auftritt hat: Pfarrer Grenzfurtner.

Er arbeitet nicht auf dem Land oder in einer städtischen Kirchengemeinde, sondern im weltweit agierenden Hightech-Unternehmen D'Wolf. Dort ist er Mitglied des Vorstands. Ein Geistlicher als Top-Manager? Der Autor Händler macht es möglich, denn auch er ist ein "creator", "Schöpfer".

Allerdings zielt die "creatio ex nihilo" in Philosophie und Theologie auf den Schöpfergott, der buchstäblich aus dem Nichts das Universum, die Welt, die belebte Natur, den Menschen erschaffen hat. Diese Gedankenposition hat ihre Tücken. Denn wenn Gott aus dem Nichts etwas, ja: alles erschaffen hat, dann ist das Nichts nicht nichts! Martin Heidegger hat dieses Nichts zu denken versucht. Sein Satz "Das Nichts nichtet" sorgt heute noch bei Intellektuellen für Heiterkeit. Heidegger hat aber auch den Satz geprägt: "Der Geist ist Flamme." Zwischen diesem flammenden Geist des schöpferischen Menschen und dem drohend-aktiven Nichts bewegt sich Händlers Roman Der Überlebende.

Händlers Romanheld und Ich-Erzähler ist Ingenieur bei D'Wolf. Er unterhält ein halboffizielles Labor für eine neue Robotergeneration. Seine "S-bots" sind bewegliche fahrbare Kleinroboter, die Aufgaben bewältigen, ohne dass sie dabei auf direkte Interaktion mit menschlichen Benutzern angewiesen sind.

Als Einzelaktanten eher ineffizient, entwickeln sie im Verband ihre Stärke. Sie helfen einander beim Überqueren von Hindernissen, "jagen" gemeinsam Objekte im Raum und transportieren diese von einem Punkt zum anderen. Freilich weiß der Ingenieur, dass er kein "Schöpfer aus dem Nichts" ist, aber diese S-bots als technisch-innovative "Daseiende" sind tatsächlich das "Werk seines Willens".

Des Ingenieurs Geist ist Flamme. Wie kein anderer kennt er die "conditio robotica", und dennoch treibt ihn die Frage nach dem Nichts um. "Wenn wir alle denkbaren Möglichkeiten realisiert haben, dann sind die Roboter - nein, nicht wie Menschen - nein, nicht perfekt. - Dann haben die Roboter ihren Lebensspielraum ausgeschöpft."

Was also Roboter und Menschen verbindet, ist ihr Lebens(spiel)raum. Endet das Leben, geht der Raum im Nichts auf. Das ist allerdings nicht wirklich das Ende vom Lied. Denn Händlers Ingenieur ist auch ein Hobbykosmologe. Die Stellen im Buch, in denen der Ingenieur neueste Erkenntnisse über Entstehung und Entwicklung des Alls wiedergibt, lesen sich wie Auszüge aus Fachbüchern.

Das wirkt holprig, verfehlt aber nicht seine Wirkung. Denn plötzlich sind Romanheld, Autor und Leser gleich klug im Angesicht einer Theorie, die schaudern macht: Gut, das Universum dehnt sich beschleunigt aus. "Die Ursache dafür ist die dunkle Energie, der leere Raum enthält etwa dreimal mehr Energie als alle sichtbare Materie." Es gilt also doch Heideggers Wort: "Das Nichts nichtet." Und es nichtet äußerst aktiv.

Obwohl es in Händlers Der Überlebende um viel Zukunft geht und man auch einiges über die Machenschaften in Großunternehmen erfährt, ist Händlers Prosatext weder ein SF- noch ein Wirtschaftsroman. Es geht um einen Mann, der seiner Roboter-Schöpfung alles unterordnet.

Wenn es sein muss, entlässt er enge Mitarbeiter oder bespitzelt sie. Am Tod seiner Frau trägt er Mitschuld. Sie ist als Künstlerin -Weberin von Gobelins - der Gegenpol zum Ingenieur. Erst spät lernt der Leser die Tochter des Ingenieurs kennen. Diese wird zum Opfer ihrer genetischen Erbschaft, denn sie ist sowohl im technischen wie im künstlerischen Bereich äußerst kreativ. Und ein solch großes Talent ist in der Welt der Schablonen und des schöpferischen Mittelmaßes zum Scheitern verurteilt.

Zu spät erkennt der Ingenieur, dass er die Familie an seine Roboter verloren hat. "Die Wahrheit des Bösen, das bin ich", sagt er einmal und übertreibt damit. Händlers Held hat keinen Mord begangen und wäre auch nicht fähig, einen in Auftrag zu geben. Er ist Egoist, Autist, Narziss, Schöpfer, ein kleiner Gott.

Wie es um das Böse bestellt ist, sagt Grenzfurtner, seines Zeichens Pfarrer und Vorstandsmitglied von D'Wolf: "Ein Gott, der mit sich streitet, kann nur ein falscher Gott sein." Das ist das eine. Das andere betrifft den Menschen: "Immer kann die Kreatur sich selbst aufheben, immer kann die Kreatur verlorengehen." Will heißen: Gottes Schöpfung umfasst alles und das Nichts. Des Menschen Schöpfungen gehen ins Nichts zurück. Diese Sichtweise macht den Ingenieur "böse" - aber auch nachdenklich, melancholisch, ja, hilflos.

In klarer, eiskalter, aber auch teilweise mitfühlender Sprache führt uns Ernst-Wilhelm Händler seinen modernen Helden vor, der angesichts des Nichts scheitert.

Die philosophischen Gedanken, die Reflexionen zur Kosmologie sind gekonnt ins erzählerische Ganze eingeflochten. Somit ist Händlers Roman ein starkes Stück Prosa, das gelesen sein will und dabei die eigene schöpferische Reflexion ankurbelt. "Wer verschwunden ist und die Welt trotzdem noch sehen kann, der muss doch unsterblich sein?", sinniert der Ingenieur fast beiläufig an einer Romanstelle. Das ist ein schöner Gedanke, doch noch ist der Ingenieur "Der Überlebende", gefesselt ans irdische Dasein. Allerdings: Das gefräßige Nichts wartet schon.  (Andreas Puff-Trojan, Album, DER STANDARD, 20./21.7.2013)