Eine Unterweltkönigin, die mit ihren obszönen Ansichten nicht zurückhaltend agiert: Kristin Scott Thomas als durchtriebene Mutterfigur in Nicolas Winding Refns "Only God Forgives".

Foto: constantin

Bild nicht mehr verfügbar.

Der dänische Regisseur Nicolas Winding Refn.

Foto: EPA/IAN LANGSDON

Wien - Spätestens seit dem kunstvoll in 1980er-Retro-Settings gebetteten Thriller "Drive" ist Nicolas Winding Refn der neben Lars von Trier bekannteste dänische Regisseur. Mit seinem neuen, in Bangkok angesiedelten Film "Only God Forgives" hat er nun, wieder mit Ryan Gosling in der Hauprolle, einen von noch drastischeren Gewaltexzessen durchzogenen Nachfolgefilm gedreht. Angestachelt von einer bösen Unterweltkönigin (Kristin Scott Thomas), macht sich ihr unterwürfiger Sohn (Gosling) auf die Suche nach dem Mörder seines Bruders: ein in rot-blaue Farbräume gegossener Thriller, der mehr der Logik einer surrealen Fantasie als einem realen Geschehen folgt.

STANDARD: "Only God Forgives" wurde schon in Cannes viel kontroverser als "Drive" aufgenommen - nicht zuletzt aufgrund der expliziten Gewalt. Betrachten Sie sich als Provokateur?

Refn: Es geht gar nicht so sehr darum, wie ich mich sehe. Zwischen einem Künstler und einem Kritiker gibt es einen Strom, und wenn dieser keine Turbulenzen kennt, dann wird alles schnell sehr passiv. Wenn mich Leute lieben, ist das natürlich großartig; wenn sie mich hassen, gilt das Gleiche - sie hassen mich ja aus denselben Gründen, aus denen mich die anderen lieben. Sobald du Gefühle auslöst, weißt du also, dass du etwas ganz tief drinnen berührt hast. Das ist das Ziel. Ansonsten hätte man genauso gut ein Eis essen gehen können.

STANDARD: "Only God Forgives" ist ein Komplementärfilm zu "Drive" - wie würden Sie das Verhältnis der beiden Arbeiten beschreiben?

Refn: Bei "Drive" dachten viele, ich sei nach Hollywood gegangen, um einen Hollywood-Film zu drehen. Ich musste immerzu wiederholen: "Nein, nein, nein - niemand in Hollywood wollte das mit mir machen." Wir mussten den Film unabhängig finanzieren. In Asien befand ich mich nun von Anfang an in einem Ein-Mann-Armee-Szenario. Doch das ganze Unternehmen begann schon mit dem Wikinger-Film "Valhalla Rising" - alle drei Filme sind Variationen derselben Figur. In "Valhalla Rising" wird sie von Mads Mikkelsen gespielt, sie ist ursprünglich und voll mythologischer Gewalt. Die Figur von "Drive" ist erhöhter, eine Art Ritter. In "Only God Forgives" gibt es nun einen thailändischen Cop, der auch eine namenlose Erlöserfigur ist. Alle Mythologien kennen diese Figur des einsamen, schweigsamen Rächers.

STANDARD: Wo liegen die Gemeinsamkeiten dieser Gewaltdramen - von Schottland über L. A. nach Asien ist es ja ein langer Weg?

Refn: Ich betrachte die Gewalt nicht so sehr durch das Umfeld, sondern als etwas Archetypisches. Ich habe schon öfters gesagt, Gewalt ist ein Fetisch - unsere Körper hatten stets gewaltvolle Seiten, aus schier instinktiver Notwendigkeit heraus. Es ging ums Überleben. Mit der Kulturalisierung wurden diese Notwendigkeiten an den Rand gedrängt, aber die Fähigkeiten verschwinden nicht einfach. Kunst ist eine Möglichkeit, dies auszuagieren. Das Gute daran ist, dass es nun aus einem positiven Impuls heraus erfolgt - es werden da Samen eingesetzt, wo zuvor nur Zerstörung war.

STANDARD: Das heißt, Sie verstehen sie als gesündere Form?

Refn: Für mich als Künstler bestimmt. Was das Publikum betrifft, stelle ich mir eher die Frage, warum Leute an einem gewalttätigen Kino solchen Gefallen finden. Es ist nicht wie beim Sex, wo man mehr Freude daran hat, wenn man ihn selbst praktiziert. Gewalt im Kino ist wie eine verbotene Fantasie, das macht den Reiz aus.

STANDARD: Sie konfrontieren im Film westliche Dekadenz mit fernöstlichem Exotismus. Wie hat sich Ihr Blick auf den Schauplatz Bangkok geschärft?

Refn: Zuerst war ich nur ein Tourist, mit all den konventionellen Vorstellungen, die damit verbunden sind. Das Skript ging davon aus, dass wir an bestimmte Vorstellungen gewöhnt sind, es aber auch Dinge gibt, für die wir keine Antworten haben. Diesen Film wollte ich nicht machen. Ich habe mich also gefragt, wie ich auf andere Weise in diese Welt eindringen kann, die mir so fremd erscheint. Mich faszinierte, dass es in Thailand Akzeptanz für eine mystische Realität gibt.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Refn: Ich habe dafür ein konkretes Beispiel: Wir haben in Bangkok in einem Apartment gewohnt, in dem es gespukt hat. Meine kleine Tochter ist jede Nacht aufgewacht und hatte schreckliche Angst. Sie hat immer auf eine Ecke hingedeutet und geschrien. Daraufhin habe ich meine thailändische Produktionsmanagerin angerufen, und sie kam mit einem Schamanen - stellen Sie sich vor, Sie rufen in den USA jemanden an und sagen, Sie hätten einen Geist im Haus! Für die Thais war das alles evident: Das hat mich gelehrt, dieser Gedankenwelt einfach zu folgen.

STANDARD: Und hat der Schamane gegen den Geist geholfen?

Refn: Nein, wir haben das Apartment gewechselt.

STANDARD: Ein Highlight des Films ist Kristin Scott Thomas, die eine herrlich fiese Mutter spielt, zu der die Figur Goslings keine ganz gewöhnliche Beziehung hat ...

Refn: Es ist ein in der Tat eher kompliziertes Verhältnis. Die Beziehung solcher Menschen zu ihren Müttern hält für immer. Es geht dabei nicht nur um ein ödipales Verlangen, sondern um Dominanz, Unterwerfung, auch Liebe. Als Mann wird man gerne auf den Standpunkt des Stärkeren fixiert, im Allgemeinen sind es jedoch die Frauen, die Männer verschlingen. Normalerweise wird eine solche Geschichte im Kino so eingesetzt, dass sie bestimmte Handlungen auslöst. Hier war die Idee, dies umzukehren - der Film gibt dem Zuschauer das Szenario erst nach und nach preis. Das ist ein viel genussvollerer Prozess, weil der Film sich gegenüber dem Betrachter öffnet, sich anbietet: "Ich gebe dir etwas, wenn du mit mir reist."

STANDARD: Eine komische Seite hat diese Mutter aber durchaus auch - Absicht?

Refn: Große Bösewichte haben stets etwas Augenzwinkerndes an sich. Sagen wir es so: Wir mussten ein klein wenig Humor in den Film einfließen lassen ...

STANDARD: Existieren solche Frauen wirklich?

Refn: Natürlich existieren sie. Viele davon sieht man in Cannes an der Croisette spazieren. Und für Lady Macbeth hat sicher die Mutter von jemandem Pate gestanden. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 19.7.2013)