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Blumen über den Bildern der Opfer, die bei dem Anschlag am 22. Juli 2011 ums Leben kamen.

Foto: EPA/MATTHIAS BALK

Das Bild zeigt die Insel Utøya, rund 30 Kilometer nordwestlich von Oslo, auf der Anders Behring Breivik vor zwei Jahren 69 Menschen erschoss. Dort fand zu diesem Zeitpunkt das traditionelle Sommerlager der Jungen Sozialdemokraten statt. In Oslo kamen wenige Stunden zuvor acht Menschen bei einem ebenfalls von Breivik verübten Bombenanschlag ums Leben.

Foto: Lasse Tur Mapaid AS

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Quelle: APA

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Die ruhige und besonnene Reaktion des norwegischen Premiers auf die Anschläge fand Beachtung.

Foto: Cornelius Poppe, Scanpix Norway/AP/dapd

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Lange Zeit war umstritten, ob Breivik als zurechnungsfähig gilt.

Foto: EPA/Heiko Junge

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Anders Behring Breivik wurde am 24. August 2012 für zurechnungsfähig befunden und vom Osloer Amtsgericht wegen Mordes an 77 Menschen zu 21 Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Foto: REUTERS/Heiko Junge/NTB Scanpix/Pool

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Siv Jensen, die Vorsitzende der rechtspopulistischen Fortschrittspartei. Sollten die Konservativen die Wahl Anfang September gewinnen, wird Jensens Partei als Koalitionspartner ebenfalls in die Regierung gelangen.

Foto: AP Photo/Stian Lysberg Solum, Scanpix Norway

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Erna Solberg ist Vorsitzende der norwegischen Konservativen und auch Spitzenkandidatin bei der Wahl. Sollten die Umfragen stimmen, wird sie wohl gemeinsam mit der Fortschrittspartei die nächste Regierung bilden.

Foto: EPA/Heiko Junge

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Das traditionelle Sommerlager der Jungen Sozialdemokraten wird 2015 wieder auf Utøya stattfinden. Man wolle nicht zulassen, dass die Insel immer von den Ereignissen im Jahr 2011 überschattet werde.

Foto: EPA/BRITTA PEDERSEN

Ali Esbati befand sich am 22. Juli 2011 auf der norwegischen Insel Utøya. Der 36-jährige Ökonom sollte dort einen Workshop bei einem sozialdemokratischen Jugendcamp leiten. Schon vor zwei Jahren erzählte er derStandard.at, wie er den Tag auf der kleinen Insel nahe Oslo erlebte, an dem Anders Behring Breivik dort 69 Menschen erschoss. Zwei Jahre danach haben wir noch einmal mit Esbati gesprochen.

derStandard.at: Wie werden Sie den 22. Juli 2013 verbringen?

Esbati: Ich werde in Oslo sein. Aber ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich an einer der Veranstaltungen anlässlich des Jahrestages teilnehmen werde.

derStandard.at: Wie hat das Attentat Sie verändert?

Esbati: Ich habe mich von Anfang an dazu entschieden, viel darüber zu reden - sowohl auf professioneller als auch auf privater Ebene. Ich hatte das Glück, auf Utøya nicht Augenzeuge der brutalsten Ereignisse geworden zu sein. Ich habe zwar Tote gesehen, aber ich war nicht dabei, als jemand erschossen wurde. Aber natürlich haben mich die Ereignisse mitgenommen. Vier oder fünf Monate danach kam es zum erwarteten Rückschlag. Eine Zeit lang habe ich mich ausgebrannt und müde gefühlt. Das war aber eine normale Reaktion.

derStandard.at: Sind Sie mit anderen Überlebenden in Kontakt?

Esbati: Nicht regelmäßig, aber ich bin mit einigen von ihnen in Kontakt. Das gemeinsam Erlebte führt zu einer Verbundenheit und einem Interesse am Leben von Leuten, die ich sonst vielleicht nie kennengelernt hätte.

derStandard.at: Hatte Breiviks Attacke nachhaltige Auswirkungen auf die norwegische Gesellschaft?

Esbati: Was in Norwegen nur wenige Tage nach dem Anschlag passiert ist, war auf vielen Ebenen eindrucksvoll. Aber zwei Jahre danach sind wir auf vielen Gebieten wieder zur Tagesordnung zurückgekehrt. Norwegen hat es nicht geschafft, diese Ereignisse in einen politischen und gesellschaftlichen Kontext einzubetten und sie als etwas zu sehen, was unter den aktuellen Rahmenbedingungen der norwegischen Gesellschaft stattfand. Die Anschläge waren ja kein Blitz, der aus dem Nichts kam.

derStandard.at: Wird seither anders über Einwanderung diskutiert?

Esbati: Auch der Diskurs über Einwanderung, besonders jene aus islamischen Ländern, hat sich wieder dorthin bewegt, wo er vor den Anschlägen war. So hat zum Beispiel Peder Are Nøstvold Jensen, bekannt als rechtsextremer norwegischer Blogger Fjordman, für einen Buchvertrag 75.000 norwegische Kronen bekommen. Das Buch mit dem Titel "Witness to Madness" soll sich mit dem Breivik-Fall auseinandersetzen. Das Geld dafür kommt von der Organisation Fritt Ord (freies Wort), die sich laut Eigendefinition für Meinungsfreiheit in Norwegen einsetzt. Meiner Meinung nach geht es dabei aber nicht um freie Meinungsäußerung, sondern damit wird fundamentalistisches Gedankengut verharmlost.

derStandard.at: Woran ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Geschehenen gescheitert?

Esbati: Dafür gibt es mehrere Ursachen. Zum einen war es ein wirklich außergewöhnliches Ereignis. Die natürlich bestehende Diskrepanz zwischen diesem Attentat und dem politischen Alltag in Norwegen macht es kompliziert, daraus Lehren abzuleiten. Außerdem gibt es starke politische Kräfte, die sehr wenig Interesse an einer solchen Diskussion haben.

derStandard.at: Welche politischen Kräfte?

Esbati: Zum Beispiel die rechtspopulistische Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet), die eine große Rolle dabei gespielt hat, islamfeindliche Positionen in die Alltagsdebatte einzuführen.

derStandard.at: Haben sich die Positionen und die Rhetorik der Fortschrittspartei nach dem Breivik-Attentat geändert?

Esbati: Für einen kurzen Zeitraum haben sie ihre Aussagen ein wenig entschärft. Damit war es aber bald wieder vorbei. Einige der prominentesten Vertreter dieser Partei verwenden weiterhin die Argumentation, wonach die muslimische Bevölkerungsentwicklung ein Problem für die norwegische Gesellschaft und Kultur darstellt.

derStandard.at: Haben andere Parteien diesen Argumenten nicht verstärkt widersprochen und darauf hingewiesen, dass diese Art, die Debatte zu führen, vielleicht die Anschläge begünstigt hat?

Esbati: Diesen Widerspruch gab es nur kurz. Das verstehe ich auch, denn es ist nicht zu argumentieren, dass jeder, der dieser Partei eine Stimme gab - und das war immerhin fast ein Viertel der Wähler - für diesen Anschlag mitverantwortlich ist. Das ist auch nicht der Fall. Aber es sollte Verantwortung nicht nur auf direkter und rechtlicher Ebene diskutiert werden. Es muss darüber geredet werden, welche gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen passieren sollen und welche Kräfte man dabei freisetzt. Das ist die schwierigere Debatte, und die ist kaum geführt worden.

derStandard.at: Einige der Utøya-Überlebenden kandidieren für die Sozialdemokraten bei der Parlamentswahl am 9. September. Werden diese Kandidaten die Parteilinie in Bezug auf die Auseinandersetzung mit dem Breivik-Anschlag beeinflussen?

Esbati: Meiner Meinung nach gibt es diesen gemeinsamen Standpunkt der Überlebenden nicht. Derzeit sieht es den Umfragen zufolge auch so aus, als würden die Sozialdemokraten die Wahl verlieren und nicht mehr die Regierung stellen. Wie viele von diesen Kandidaten einen Sitz im Parlament bekommen, ist also noch offen.

derStandard.at: Sind der Anschlag und die Auseinandersetzung damit überhaupt Thema im Wahlkampf?

Esbati: Per se ist es kein Thema. Aber der Anschlag hatte ironischerweise einen negativen Effekt auf die regierende sozialdemokratische Partei. Nach dem Ende des Breivik-Prozesses gab es eine große öffentliche Debatte über eventuelle Fehler und Fehleinschätzungen des Sicherheitsapparats. Das hat sich hauptsächlich negativ auf die Regierung ausgewirkt. Die Kritik der Opposition und der Medien war sehr harsch.

Dazu kam eine Debatte über Meinungsfreiheit und die Gefahr der Zensur. Der Grundtenor lautete: Kritik an der Einwanderungspolitik sollte weiterhin möglich sein, ohne in den Verdacht zu geraten, Breiviks Weltsicht zu vertreten. Damit können aber auch fremdenfeindliche und rassistische Ideen verbreitet werden. Diese Entwicklung hat ebenfalls den Sozialdemokraten geschadet.

derStandard.at: Sollten die Konservativen die Wahl gewinnen, werden sie wohl die Fortschrittspartei als Partner in die Regierung holen.

Esbati: Das ist eines der wahrscheinlichsten Szenarien. Meiner Meinung nach wäre das eine sehr negative Entwicklung für die norwegische Gesellschaft. Die Fortschrittspartei hatte allerdings auch schon ohne Regierungsbeteiligung einen großen Einfluss auf die Politik in Norwegen.

derStandard.at: Hat es Veränderungen in der Sicherheitspolitik gegeben? Sind nun rechtsextreme Gruppn mehr im Fokus der Polizei?

Esbati: Offiziell sieht die Polizei weiterhin islamistische Terrorszenarien als die größte Gefahr für Norwegen. Aber auch wenn die Polizei sich auf rechtsextremistische Gruppen konzentriert hätte, wären die Anschläge von Breivik nicht im Vorhinein zu verhindern gewesen. Er war ja nicht Teil einer der bekannten Neonazi-Gruppen, die auch offen für die Anwendung von Gewalt plädieren.

Islamfeindliche Gruppen dagegen funktionieren anders. Sie bereiten den Boden für die Aktionen anderer. Breivik war zwar Einzeltäter, das bedeutet allerdings nicht, dass er isoliert von einer ideologischen Basis gearbeitet hat. Dieser Zusammenhang ist die Herausforderung für die Sicherheitsdienste. Aber man muss auch begreifen, dass diese Problematik nicht allein durch verstärkte Überwachung gelöst werden kann. Eine gesellschaftliche Entwicklung kann nicht von der Polizei gestoppt werden. (Michaela Kampl, derStandard.at, 18.7.2013)