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Der legendäre Anstieg auf die Alpe d'Huez pflegt 1,5 Millionen Fans an die Strecke zu locken.

Foto: AP/Ena

Chorges/Gap - Am Donnerstag steht die Königsetappe der 100. Tour de France an. Auf dem 168,5 Kilometer langen 18. Teilstück muss sich das Peloton gleich zweimal nach Alpe d'Huez auf 1850 Meter Seehöhe quälen und dazwischen eine halsbrecherische Abfahrt meistern. Gestartet wird in Gap, danach sind zunächst drei einfachere Bergwertungen zu nehmen. Ernst wird es erst nach 110 Kilometern, wenn erstmals der "Berg der Holländer" zu bezwingen ist. Niederländische Radler haben einst sehr oft gewonnen. Tausende Fans werden die Straße säumen, wenn die Fahrer den auf 12,3 Kilometer verkürzten ersten Teil der Alpe-d'Huez-Schinderei auf sich nehmen. Vor dem späteren Ziel knickt die Strecke ab und führt hinauf auf den 1999 m hohen Col de Sarenne (2. Kategorie).

Von dort aus geht es steil bergab. Die gefährliche und teils ungesicherte Abfahrt war vielen Fahrern im Vorfeld ein Dorn im Auge. Sind sie im Tal angekommen, sind erneut die 21 legendären Serpentinen zu überwinden. Der finale Anstieg ist 13,8 Kilometer lang und hat eine durchschnittliche Steigung von 8,1 Prozent. Die erste Kurve trägt die Nummer 21. Warum nicht Nummer eins? Hochzählen wäre zu deprimierend. Es klingt leichter: noch 20 Kurven, noch 19. Alle Kurven tragen zudem Namen früherer Etappensieger.

1952 triumphierte hier Fausto Coppi, später wurden auch Joop Zoetemelk und Luis Herrera zu ultimativen Helden, hochgetragen von einer riesigen Menschenmenge, die kilometerlang Spalier stand und gerade noch einen armbreit freiließ für die Bezwinger von mehr als tausend Meter Höhenunterschied in weniger als einer Stunde.

Wie im Kino

"Das Schlimmste ist die Ankunft auf der Alpe d'Huez", meinte einmal der US-amerikanische Tour-Sieger von 1986, Greg LeMond, nach der Spießrutenfahrt zwischen johlenden, Fahnen schwingenden und Wasser spritzenden Fans. "Das ist das reinste Kino." Sein erfahrener Mannschaftspartner und Erzrivale Bernard Hinault hatte ihm geraten, sich in seinem Windschatten zu halten. "Ich wusste, wie man an diesem Publikum vorbeifahren muss - schnurgerade, mit bösem Blick und zusammengepresstem Kiefer. So weichen die Leute im letzten Moment zurück."

Eine Frage bleibt offen: Hatte Hinault seinem um sieben Jahre jüngeren Kollegen wirklich wegen der furiosen Menge geraten, hinter ihm zu bleiben? Oder wusste der Altstar, dass ihn LeMond jederzeit abhängen konnte? Dass Hinault bei der Ankunft seine Hand ergriff, aber ein paar Zentimeter vorne blieb, wurmte LeMond noch lange. Als wäre es wichtiger, die "Alpe" als die Tour zu gewinnen. LeMond redete sich heraus: "Ein Aberglaube besagt, dass man die Tour verliert, wenn man auf der Alpe d'Huez siegt. Deshalb wollte ich die 'Alpe' gar nicht gewinnen."

Armstrong-Kurve

Auch Lance Armstrong gewann die Etappe mehrmals; er gehört zu den wenigen Fahrern, die für den Soloaufstieg weniger als 40 Minuten brauchten. Heute weiß man wieso. Auch wenn ihm alle sieben Tour-Siege wegen Doping aberkannt wurden, trägt die unterste Haarnadelkurve der Alpe d'Huez weiterhin seinen Namen. Weshalb? "Dann müsste man auch einige andere Kurven umtaufen", sagt Fabrice Hurth, Tourismusdirektor der Alpe d'Huez. "Zum Beispiel die von Marco Pantani, der 1997 auf die Alpe flitzte, als säße er auf einem Motorroller."

Doping hat die Fans entlang der Tour noch nie abgehalten. "Das Publikum liebt den Skandal, wie es den Schweiß liebt", schreibt die Zeitung "Le Monde". (brä/sid/red, DER STANDARD, 18.7.2013)