Ein Volksheld an der kurzen Leine: "Alle Aktivitäten, die Russland oder den USA schaden, sind für den Kreml nicht hinnehmbar", kommentierte Wladimir Putin am Mittwoch die Causa Snowden. Die Beziehungen zu den USA seien schließlich für Russland wichtiger als irgendwelche Streitereien zwischen den Geheimdiensten. Edward Snowden sei diesbezüglich "gewarnt" worden, betonte der russische Präsident.

Diese etwas kryptisch formulierten Sätze bedeuten, dass Snowden nur in Russland bleiben darf, wenn er künftig schweigt. Dessen Flucht nach Moskau, nachdem er die dubiosen Abhörmethoden der NSA aufgedeckt hatte, bringt nämlich nicht nur US-Präsident Barack Obama, sondern auch Putin in die Bredouille. Einerseits genießt der von den US-Behörden als Verräter gejagte Snowden in Russland Kultstatus. Hier verbindet sich die Empörung über das von Snowden aufgedeckte umfassende geheime Überwachungssystem mit traditionellem Antiamerikanismus. Eine Übergabe - zumal ohne gültiges Auslieferungsabkommen - würde Putin innenpolitisch stark schaden.

Andererseits ist der Kremlchef nicht an einer weiteren Verschlechterung der Beziehungen zu den USA interessiert. Schon gar nicht wegen Snowden, dessen Handeln im Widerspruch zu allen Prinzipien des ehemaligen KGB-Agenten steht. Putin, dessen Politik als Musterbeispiel für das Primat staatlicher Sicherheitsinteressen gegenüber individuellen Bürgerrechten gilt, hat sich daher für den Kompromiss eines Schweige-Asyls entschieden.

Weitere Enthüllungen Snowdens sind so auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Der IT-Spezialist, der eigenen Angaben nach bei einer Rückkehr in die USA die Todesstrafe fürchtet, ist vom Wohlwollen der russischen Bürokratie abhängig. In dieser wenig angenehmen Lage hat er sich nach Angaben seines russischen Anwalts Anatoli Kutscherena bereit erklärt, die Auflagen für seinen weiteren Verbleib zu erfüllen.

Mit dieser Regelung könnte wohl auch das Weiße Haus leben, obwohl das US-Außenministerium offiziell weiter seine Auslieferung fordert. Dessen Sprecher Patrick Ventrell forderte Snowden nun persönlich zur Rückkehr auf: "Er sollte nach Hause kommen und den Mut haben, sich den Anschuldigungen zu stellen", sagte der Diplomat. Damit ist freilich nicht zu rechnen.

Rückendeckung bekam Snowden von Ex-Präsident Jimmy Carter, der dessen Enthüllungen als "wahrscheinlich nützlich" bezeichnete und die Geheimdienstüberwachung als zu weit gehenden "Eingriff in die Privatsphäre" scharf kritisierte. Die Debatte wird nicht nur in den USA geführt: Die deutsche Bundeswehr räumte ein, seit 2011 über das Spähprogramm informiert gewesen zu sein. Der Geheimdienst BND bestreitet hingegen jede Kenntnis.

Vieles deutet daher darauf hin, dass Washington von seiner harten Linie gegenüber Moskau abrückt. Der Forderung des republikanischen Senators Lindsay Graham - der erklärte, sein Land solle die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi boykottieren, wenn Russland Snowden nicht herausrücke -, wird wohl nicht nachgekommen. Auch die zeitweise kursierenden Spekulationen über den Verzicht Obamas auf seine im Herbst geplante Russland-Visite sind vom Tisch.

Für Washington könnte ein schweigender Snowden in Russland mehr wert sein als ein Prozess gegen ihn in den USA. (André Ballin, DER STANDARD, 18.7.2013)