Um einen Lkw samt Anhänger zu zähmen, braucht es Kraft. "Aber wir Rollifahrer haben ja Muckis", sagt Edith Grünseis-Pacher.

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Linz - Die Welt stand ihr mit 22 Jahren offen. Erfolgreich in der Modebranche, nebenbei das Sprachenstudium. Doch der Lebensweg von Edith Grünseis-Pacher nimmt am 7. Oktober 1989 eine entscheidende Wende. Auf dem Weg zur Arbeit verunglückt die Innviertlerin schwer. Sechseinhalb Wochen liegt Grünseis-Pacher im Koma, kann nicht mehr reden, nicht mehr selbstständig atmen. Die Stunde null mit nur 22 Jahren. Die lange Reha, Schmerzen, Verzweiflung - Momente, in denen die junge Frau am Sinn des Lebens zweifelt.

Der Rollstuhl ist heute eine der sichtbarsten Folgen des Unfalls. Die funktionale Blindheit auf einem Auge, die Gefühls- und Geschmacksstörungen sind die für Außenstehende kaum wahrnehmbaren Nachwirkungen des Autounfalls. Doch der Lebensmut ist vollständig zurückgekehrt. 1993 gründete Grünseis-Pacher die Initiative Rotes Dreieck, mit der sie sich für andere Unfallopfer starkmachte. Und 1997 dann den Club Mobil. Menschen mit Behinderung mehr Mobilität zu ermöglichen ist heute eine Herzensangelegenheit der Andorferin.

Mehr Mobilität

Der Club Mobil verfügt über eines von wenigen österreichischen Lehrfahrschulautos für behinderte Menschen, bietet Fahrsicherheitskurse und Fahreignungsprüfung.

Doch im Vorjahr verspürte die Mobilitätsexpertin beim Schmökern der Führerscheingesetzgesundheitsverordnung den Drang nach einer neuen Herausforderung. "Mir wurde bewusst, dass ich trotz Rollstuhls und funktioneller Einäugigkeit eine Lenkerberechtigung der Gruppe 2, also Lkw und Bus, erlangen kann", erinnert sich Grünseis-Pacher im Gespräch mit dem STANDARD.

Prüfung mit Vorurteilen

Doch der Weg zum 40-Tonner war beschwerlicher als erwartet: "Normalerweise dauert eine Prüfung gut eine Stunde, bei mir war's ein ganzer Nachmittag. Die wollten mich nicht durchlassen - eine Frau, und noch dazu im Rollstuhl." Doch sie hat allen Vorurteilen und Machogedanken getrotzt und ist heute der weltweit erste Mensch im Rollstuhl und mit funktioneller Einäugigkeit, der über eine Lenkerberechtigung der Klassen C und E verfügt.

"Ich wollte ein Zeichen setzen und anderen Betroffenen Mut machen", schildert die Neo-Brummifahrerin. Und außerdem sei es "ein geiles Gefühl, mit so einem Gefährt zu düsen". Doch Muskelkraft ist für eine Ausfahrt an mehreren Fronten nötig: "Mein Fahrlehrer musste mich immer ins Führerhaus heben. Und ich lenke den 40-Tonner ja einhändig. Mit der zweiten Hand gebe ich Gas und bremse. Aber wir Rollifahrer haben ja entsprechende Muckis."

Der Lkw-Führerschein hat sich bereits auch für andere Betroffene bezahlt gemacht. Ein Hamburger Lkw-Fahrer, der nach einem Sturz von einem Dach im Rollstuhl sitzt, konnte jetzt bei Grünseis-Pacher erfolgreich eine Fahreignungsprüfung absolvieren - und darf nun wieder in seinem Beruf arbeiten. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 18.7.2013)