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Gegnerschaft zu den Muslimbrüdern ist in Ägypten momentan oft gleichbedeutend mit Anti-USA: Die USA werden beschuldigt, mit den Muslimbrüdern gemeinsame Sache gemacht zu haben.

Foto: AP/Ammar

Kairo/Wien - Viele der Demonstranten, die am 30. Juni den Abgang von Präsident Mohammed Morsi verlangten, hatten auch eine andere Person im Visier - und waren dabei nicht zimperlich: "Hau ab, Haysabun!" Letzteres bezeichnet ein hässliches altes Weib, eine Hexe - gemeint war US-Botschafterin Anne Patterson. Sie war auch auf Plakaten zu sehen, gemeinsam mit Morsi.

Das Narrativ, dass die USA die Muslimbrüder in Ägypten an die Macht gebracht hatten und dort halten wollten, war da schon so verbreitet, dass sich drei Tage nach dem Sturz Morsis das US-Außenministerium zu einer Erklärung veranlasst sah: "Wir weisen die unbegründete und falsche Behauptung mancher in Ägypten zurück, dass die USA die ägyptischen Muslimbrüder (...) unterstützen." Genützt hat es, zumindest was die vox populi betrifft, wenig, auch wenn die Kanäle zwischen Washington und Kairo wieder offen sind. Die Muslimbrüder und ihre Anhänger beschuldigen die USA ja ihrerseits, Morsi genauso schnell fallengelassen zu haben wie 2011 Hosni Mubarak.

Die unklare US-Haltung - die sie mit anderen westlichen Ländern teilen, die die Umstände und Begleiterscheinungen des Machtwechsels skeptisch betrachten - hat zu teilweise wüsten Verschwörungstheorien geführt, die nun von den Schreibern der neuen Revolution verbreitet werden.

Patterson spielt dabei eine Schlüsselrolle. Im Internet kann man lesen, dass die US-Botschafterin den Muslimbrüdern grünes Licht gegeben habe, das Hauptquartier der Republikanischen Garden anzugreifen, wobei dann mehr als 50 Muslimbrüder getötet wurden: Das sollte ihnen eine bessere Verhandlungsbasis verschaffen beziehungsweise überhaupt die Rückkehr ermöglichen. Patterson habe auch die Salafisten aufgehetzt, die Bildung einer neuen Regierung zu boykottieren, und sie sei in eine Verschwörung mit der Türkei verwickelt, die die Muslimbrüder zurück an die Macht bringen soll.

Auf Metaebene lautet der Vorwurf, die USA hätten auf eine Dominanz der Muslimbrüder im ganzen Nahen Osten gesetzt, die die autokratischen säkularen Regime durch volkslegitimierte, moderat islamistische ersetzen sollten: Das würde dem islamischen Extremismus Boden abgraben, gleichzeitig würden sich die Muslimbrüder für die Kooperation ihrerseits mit sicherheitspolitischer Partnerschaft bedanken: das türkische Modell. Die USA hätten die Gefährlichkeit der Muslimbrüder-Mafia jedoch unterschätzt.

Unter Säkularen ist diese Meinung weit verbreitet, aber auch die konservativen Monarchien am Golf sahen sich vom angeblichen Muslimbrüder-Projekt der Amerikaner bedroht. Die Schadenfreude in Riad, wo man den USA schwer verübelte, dass sie Mubarak so schnell fallen ließen, war in den Tagen nach dem neuen Umsturz nicht zu übersehen.

Patterson kann man vorwerfen, dass sie den Bogen mit einer Rede überspannte, in der sie die Tamarod-Bewegung der Morsi-Gegner scharf kritisierte und kein Verständnis für deren - teilweise völlig legitimen - Argumente zeigte. Auch den Vorwurf, Morsi wurde von den USA mit Glacéhandschuhen angefasst, während der im ersten Jahr nach dem Mubarak-Sturz regierende Militärrat oft kritisiert wurde, kann man gelten lassen: Allerdings würde die US-Diplomatie so argumentieren, dass es sich bei Morsi eben um einen gewählten Präsidenten gehandelt habe. Für viele Ägypter sah es jedoch so aus, als sei es den USA recht, wenn anstelle eines Mubarak- ein Muslimbrüder-Regime herrscht, solange ihre eigenen strategischen Interessen nicht berührt sind.

Und daher kommt ja auch das ganze US-Dilemma: Jahrzehntelang klammerte die Interessenpolitik Washingtons die inneren Angelegenheiten ihrer Partner völlig aus. Das hat sich erst im vergangenen Jahrzehnt geändert: Nach 9/11 wurde die US-Finanzhilfe an Ägypten zum Druckmittel, um das innenpolitische Verhalten zu beeinflussen. Damit werden die USA aber noch mehr zum Akteur - und Komplizen, wenn sie sich, so wie bei Morsi, nicht einmischen, wenn der Zug in die falsche Richtung fährt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 17.7.2013)