Inhalte des ballesterer Nr. 83 (August 2013) – seit 16. Juli im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk!

Schwerpunkt: Legendäre Legionäre

WELTBERÜHMT IN ÖSTERREICH
Ivanov, Nylasi, Müller und 19 weitere unvergessliche Legionäre

LANDKARTE DER LEGIONÄRE
Die Herkunftsländer im Überblick

Außerdem im neuen ballesterer:

CUP DER DEMONSTRATIONEN
Massive Proteste beim Confed-Cup in Brasilien

LEBEN AM TABELLENENDE
Warum Wiener Neustadt nicht absteigt

ISTANBUL UNITED
Türkische Fans demonstrieren gemeinsam gegen die Regierung

UNSER KLUB BLEIBT HIER
Eine mexikanische Kleinstadt wehrt sich gegen die Abwanderung ihres Vereins

OBDACH AM PLATZ
Impressionen vom Wiener Wohnungslosenturnier

AUS HERBERGERS NOTIZEN
Woran das »großdeutsche« Team bei der WM 1938 scheiterte

VORNE MIT VOLKSWAGEN
Im deutschen Frauenfußball stellt Wolfsburg die Machtfrage

STRONACHS STIMMENFANG
Ein Kommentar zu Frank Stronachs Sturm-Deal

WIR RUFEN SPANIEN
Guardiola: Intelligent, rätselhaft und umstritten

DAS LEBEN VOR DEM LIVETICKER
Clemens Berger ist der 13. Mann

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Deutschland, England, Italien und Schottland

Nicola Jurcevic: Next Stop Istanbul.

Foto: Vici Graf

Wir erwischen Nikola Jurcevic beim Kofferpacken in seiner Heimatstadt Zagreb. Er steckt uns ins Coupé seiner Frau und fährt uns zum gemeinsamen Mittagessen. Soeben hat Jurcevic die Familie über sein neues berufliches Reiseziel informiert, als Co-Trainer von Slaven Bilic bei Besiktas Istanbul. Als wir Jurcevic einer Woche zuvor angerufen hatten, kam er gerade retour aus Moskau. Sein Vertrag bei Lokomotive war gekündigt worden. Zeit habe er jetzt genug, sagte Jurcevic am Telefon. Drei Tage später ist alles anders. Bilic steht in Verhandlungen mit Besiktas und fragt, ob Jurcevic ihn nach Istanbul begleiten würde. Innerhalb eines Tages muss er sich entscheiden und sagt zu. Als wir nach Zagreb reisen, verkünden die Zeitungen schon den Vertragsabschluss des Duos. Am nächsten Tag hebt der Flieger in die Türkei ab.

ballesterer: Gibt es Slaven Bilic nur im Paket mit Nikola Jurcevic?

Nikola Jurcevic: Uns verbindet mittlerweile eine richtige Freundschaft. Wir haben zusammen in der kroatischen Nationalmannschaft gespielt, vor sieben Jahren hat er mich gefragt, ob ich mit ihm die Nationalmannschaft betreuen möchte. Das haben wir sechs Jahre lang gemacht. Danach haben wir zusammen ein Jahr lang bei Lokomotive Moskau gearbeitet, und jetzt geht es in die Türkei. Wir haben ein super Verhältnis zueinander.

Im gleichen Klub haben Sie aber nie gespielt.

Nein, aber im UEFA-Cup gegeneinander. Er war 1994 beim Karlsruher SC, ich bei Austria Salzburg. Das erste Spiel ist 0:0 ausgegangen, im zweiten Match haben wir auswärts 1:1 gespielt und sind ins UEFA-Cup-Finale gegen Inter Mailand aufgestiegen. Karlsruhe hat damals eine ganz starke Mannschaft gehabt – mit Oliver Kahn im Tor, Jens Nowotny und Slaven Bilic in der Abwehr und Sergej Kirjakow im Sturm.

Da sind wir schon bei den Auslandsengagements. Warum hat Ihr erstes bei Royal Antwerpen nicht so gut funktioniert?

Auch das war eine wertvolle Erfahrung für mich. Ich bin damals nur für ein Jahr von NK Zagreb dorthin verliehen worden. Nach einer Saison bin ich wieder zurückgegangen, weil die Belgier die Option zur Verlängerung nicht gezogen haben. Es war meine erste Auslandsreise als Fußballer, mit 22 Jahren war ich relativ jung. Sehr bald habe ich mich dann an der Leiste verletzt. Außerdem war ich dort alleine und habe Heimweh gehabt.

Warum sind Sie denn ursprünglich von Dinamo zum kleineren Zagreber Klub, den sogenannten Dichtern vom NK, gegangen?

Ich habe in sämtlichen Jugendmannschaften von Dinamo und in der jugoslawischen U15-, U16- und U17-Nationalmannschaft gespielt. Mit 17 Jahren habe ich zwar in der ersten Mannschaft von Dinamo debütiert, musste aber dann den Wehrdienst ableisten. Danach war die Konkurrenz bei Dinamo zu groß, und ich bin zu NK Zagreb gewechselt – das ist auch ein Traditionsverein. Wir haben zweimal die Meisterschaft der zweiten jugoslawischen Liga gewonnen, ich bin zweimal Torschützenkönig geworden und wurde einmal zum besten Spieler gewählt. Bei NK habe ich den Durchbruch geschafft, trotzdem war Dinamo immer mein Lieblingsverein. Dort habe ich auch als Trainer begonnen.

Warum ist es dann als Spieler in Salzburg wesentlich besser gelaufen?

Die erfolgreiche Zeit bei NK war wichtig. Ich war viel erfahrener und selbstbewusster, als ich nach Salzburg gewechselt bin – ganz anders als bei meinem Wechsel nach Belgien. Ich war ein fertiger Spieler mit großen Ambitionen. In Salzburg hat dann alles zusammengepasst.

Bei Dinamo haben Sie mit großen Namen wie Zvonimir Boban und Robert Prosinecki zusammengespielt. Hat man unter den Legionärskandidaten über eintreffende Auslandsangebote gesprochen?

Ich bin zwei Jahre älter als die beiden. Wir waren also nicht in den gleichen Jugendmannschaften, haben uns aber oft über Angebote aus dem Ausland unterhalten. Sie haben beide sehr schnell ihren Weg zu großen Klubs geschafft. Ich habe damals auch Angebote von mindestens zehn Vereinen gehabt. Entscheidend für den Wechsel nach Salzburg war ein Treffen mit Otto Baric. Er hat mir alles gezeigt, mir von den Zielen des Klubs erzählt und vor allem vom fanatischen Salzburger Publikum. Deshalb bin ich zu Salzburg gegangen. Die Nähe zu Zagreb war natürlich ein weiterer Vorteil.

Haben Sie die prominenten Kollegen danach aus den Augen verloren? Sie waren ja jeder in einem anderen Land tätig.

Mit ihnen und anderen Freunden aus der Jugendzeit bei Dinamo haben wir uns auch danach in der Winterpause der Meisterschaften oft zum Kartenspielen getroffen. Gegen Boban und den AC Milan haben wir mit Salzburg außerdem in der Champions League gespielt.

Die ersten zwei Jahre hat es in Salzburg mit dem Meistertitel nicht geklappt, erst danach hat die Zeit großer Erfolge begonnen. Was hatte sich entscheidend verändert?

Na ja, wir haben schon in den ersten zwei Jahren sehr gut gespielt und die Meisterschaft nur knapp verloren – einmal nur wegen der schlechteren Tordifferenz im Vergleich zur Wiener Austria. Otto Baric hatte ein goldenes Händchen, er hat eine sehr gute Mischung aus Spielern zusammengestellt. Er hat mit Otto Konrad einen sehr guten Tormann geholt. Heribert Weber war ein unglaubliches Vorbild und ein Klassespieler. Dann hatten wir Pfeifenberger und mich im Angriff. Er hat aber auch neue, damals noch unbekannte Spieler entdeckt. Denken Sie an Franz Aigner, Thomas Winklhofer und Wolfgang Feiersinger. Und wir hatten das beste Publikum in Österreich, die haben eine fanatische Atmosphäre erzeugt – wie in der deutschen Bundesliga. Das Lehener Stadion war fast immer ausverkauft. Dazu noch der sehr ambitionierte Präsident Rudolf Quehenberger. Das war unser Erfolgsrezept.

Welche Erlebnisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Als eine Mannschaft aus der Provinz haben wir im Europacup zweimal im ausverkauften Praterstadion gespielt und haben dabei zum ersten Mal in der österreichischen Fußballgeschichte eine deutsche Mannschaft in einem internationalen Bewerb ausgeschaltet.

Sie haben aber nicht nur gegen deutsche Klubs gespielt.

Sensationell war auch der 3:0-Sieg gegen Sporting Lissabon mit Luis Figo, Jorge Cadete, Paulo Sousa und Krassimir Balakow. Im UEFA-Cup-Finale haben wir vor 80.000 Zuschauern im San-Siro-Stadion gegen Inter als bessere Mannschaft 0:1 verloren. Auch in der Champions League haben wir den AC Milan im entscheidenden Spiel um den Aufstieg ins Viertelfinale das ganze Match unter Druck gesetzt. Wir haben sehr gut gespielt, aber leider auch dieses Match 0:1 verloren.

Noch besser ist es gegen Ajax Amsterdam gelaufen, den späteren Champions-League-Sieger.

Gegen Ajax haben wir in der Gruppenphase zweimal unentschieden gespielt. Die waren damals eine sehr gute Mannschaft. In der Meisterschaft war ich Torschützenkönig und bin zum besten Legionär gewählt worden. In einem Auswärtsspiel habe ich Franz Wohlfahrt einmal vier Tore geschossen. Eine sehr schöne Zeit. Aber vorbei.

Welche Funktion hatten Ihre Schienbeinschützer im Miniformat in den nur halb hinaufgezogenen Stutzen?

Das war mein Stil: lange Haare und diese Deckel. Mir ist es aber nicht um ein Image gegangen, ich habe mich mit so kleinen Schienbeinschützern einfach leichtfüßiger gefühlt. Ich habe trotzdem nie Angst vor Fouls gehabt und bin voll in die Zweikämpfe gegangen. Außerdem war ich ein wenig abergläubisch und habe mich mit den langen Haaren stärker gefühlt.

Macht es die geografische Nähe für kroatische Spieler leichter, in Österreich Fuß zu fassen?

Ja, das glaube ich schon. Wir haben die gleiche Kultur. Hier gibt es nette Leute, und der Lebensstil in Österreich ist angenehm. Deshalb habe ich mich in Salzburg auch vom ersten Moment an wohl gefühlt. Außerdem gibt es insgesamt schon eine lange Tradition erfolgreicher Spieler aus Kroatien in Österreich.

War das in Deutschland anders? Sie haben auch zwei Jahre beim SC Freiburg gespielt.

Das war eine ganz andere Situation als in Salzburg. Freiburg ist zwar als Stadt auch sehr schön, aber wir haben gegen den Abstieg gespielt. Mit mir sind damals Alain Sutter und Harry Decheiver zum Verein gekommen, und wir haben im ersten Jahr den Klassenerhalt geschafft. In der zweiten Saison sind wir dann abgestiegen.

Während Sie im Ausland gespielt haben, tobte in den 1990er Jahren bei Ihnen zu Hause der Krieg. Wie sind Sie damit umgegangen?

Das war eine sehr schwierige Zeit für uns alle. Auch wenn meine Familie davon nicht so schwer betroffen war, weil wir aus Zagreb kommen und es dort keine unmittelbaren Kriegshandlungen gegeben hat. Mit den Gedanken und dem Telefonhörer waren wir aber damals nahezu ständig zu Hause.

Hat es im Salzburger Exil eine ex-jugoslawische Community gegeben, in der Sie sich austauschen konnten?

Ja, wir Kroaten haben uns jeden Sonntag in der Kirche am Mönchsberg zum kroatischen Gottesdienst getroffen. Das war wichtig für mich. Auch wenn ich nicht jeden Sonntag in die Kirche gehe, meine Eltern haben mich zu einem gläubigen Menschen erzogen. Wir hatten aber auch privat eine sehr gute Gemeinschaft mit den anderen Austria-Spielern. Meine Frau war damals mit mir in Salzburg, und wir sind oft gemeinsam mit den Österreichern fortgegangen. In Lokale wie das »Vis a Vis« und das »Seitensprung«.

Legionäre werden zwangsläufig über die Nationszugehörigkeit definiert. Welche Bedeutung hat Kroatien für Sie?

Ich bin stolz, ein Kroate zu sein. Die Unabhängigkeit 1991 war für uns ein wichtiges Ereignis. Ich habe mich schon in Jugoslawien als Kroate gefühlt.

Die erste Hälfte Ihres Lebens haben Sie in Jugoslawien verbracht. Welchen Stellenwert hat diese Zeit für Sie?

Ich möchte nicht schlecht über diese Zeit sprechen, vieles war okay. Ich habe gute Kontakte zu Menschen in den anderen ehemals jugoslawischen Teilstaaten. Im Endeffekt zählt, ob jemand menschlich okay ist. Dann ist es mir egal, woher er kommt.

Als Co-Trainer der kroatischen Nationalmannschaft haben Sie mit vielen Spielern zu tun gehabt, die in unterschiedlichen Ländern tätig waren. Von welchen Erfahrungen haben die so erzählt?

90 Prozent der Spieler in der kroatischen Nationalmannschaft haben im Ausland gespielt, die haben sich in ihren Ländern alle gut integriert. Sie hatten die nötige fußballerische Klasse und haben ein normales Privatleben geführt. Mit Niko Kranjcar, Luka Modric und Vedran Corluka haben damals allein drei Spieler bei Tottenham Hotspur in der Premier League gespielt. Darijo Srna, unser Kapitän, war acht Jahre in der Ukraine, Ivica Olic beim Hamburger SV und bei Bayern München, Josip Simunic bei Hertha BSC. Insgesamt haben unsere Spieler in sieben oder acht verschiedenen Ländern gespielt.

Sie haben die Spieler erlebt, bevor und nachdem sie ins Ausland gegangen sind. Wie haben sie sich dabei entwickelt?

Spieler, die ins Ausland gehen, werden sehr viel schneller reifer. Sie müssen eine neue Sprache lernen und sich in einen Verein und in ein neues Land mit einem anderen Lebensstil integrieren. Konkret haben die Spieler vor allem von der besseren Organisation und Infrastruktur der Klubs im Ausland profitiert.

In Österreich machen viele talentierte Spieler den Schritt ins Ausland zu früh und kommen dann reumütig wieder zurück. Ist das in Kroatien auch so?

Das ist auch bei uns ein großes Problem. Zu meiner Zeit konntest du mit 25, dann wieder mit 28 Jahren ins Ausland gehen. Später mit 20 und jetzt ohne Begrenzung. Das ist nicht gut, weder für die Spieler noch für den kroatischen Fußball. 70 bis 80 Prozent dieser Spieler sind gescheitert, weil sie nicht reif für diesen Schritt waren – vor allem von der Persönlichkeit her, nicht nur als Fußballer.

Kroatien ist soeben der EU beigetreten. Wird sich dadurch für seine Fußballer etwas ändern?

Für die Fußballer selbst wird es noch leichter, zu ausländischen Vereinen zu wechseln, weil die Ausländerregel dann nicht mehr gilt. Aber für die kroatischen Vereine ist der Beitritt ganz schlecht, sie werden noch mehr Spieler verlieren. Den kroatischen Vereinen fehlt es ohnehin schon an Geld und Infrastruktur. Wir haben mit Dinamo nur einen Verein von europäischem Niveau, der aber auch immer wieder Geldprobleme hat. Dann Hajduk Split als zweiten großen Klub, sonst viele liebe kleine Vereine. Aber das ist insgesamt zu wenig. Jetzt wird eine Zehnerliga statt der Zwölferliga eingeführt. Wir müssen jetzt einmal sehen, was diese österreichische Lösung bringt. Wir haben hier schon viele Formate durchprobiert.

Sie haben noch in der alten jugoslawischen Liga gespielt. Wie stand sie Vergleich zum Status quo da?

Damals hat es eine größere Konkurrenz gegeben. Die Spieler haben auch länger in der nationalen Meisterschaft spielen müssen, bevor sie ins Ausland wechseln durften. Stellen Sie sich vor diesem Hintergrund einmal vor, wie stark die Mannschaften von Zagreb, Split, Belgrad und Sarajevo waren. Heute wechseln die Spieler viel zu schnell und können sich nicht mehr richtig mit einem Verein identifizieren. Das finde ich schade.

In anderen Sportarten hat man schon versucht, eine Balkanliga zu etablieren. Warum nicht auch im Fußball?

Der Grund ist wahrscheinlich die Sicherheit in den Stadien. Die andere Frage sind die vielen kleinen Vereine, die dann noch weniger Chancen hätten, etwas zu erreichen. Für die Qualität des Fußballs wäre es sicher besser.

Verfolgen Sie noch das Schicksal von Red Bull Salzburg und dem Fanverein Austria Salzburg?

Ja, ich habe mir die Website von Austria Salzburg angeschaut und verfolge auch Red Bull Salzburg. Ich war 2005 ja einen Monat lang Trainer bei Austria Salzburg. Dann ist Red Bull gekommen und hat alles ausgetauscht. Kurt Jara ist als Trainer bereits festgestanden, Franz Beckenbauer als Berater. Ich hätte nicht alles so radikal umgebaut, Farben und Tradition hätte ich belassen. Man hätte auch in rot-weißen Auswärtsdressen spielen und Red Bull ganz normal als Hauptsponsor einsetzen können. Salzburg hatte so tolle Fans, und die brauchen die Tradition. (Interview: Martin Schreiner, Foto: Vici Graf)