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Demonstranten attackieren Polizeikräfte in Belfast. Die Behörden hatten einen Marsch des protestantischen Oranierordens verboten.

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Belfast/London - Das nordirische Regionalparlament berät am Dienstag über die jüngsten Beschlüsse der sogenannten Paradekommission und die Krawalle vom vergangenen Wochenende. Bei Zusammenstößen zwischen der Polizei und Demonstranten an drei Abenden hintereinander waren in der Hauptstadt Belfast 39 Beamte teilweise schwer verletzt worden, 49 Demonstranten wurden festgenommen. Der Schaden geht in die Millionen.

Einige der Angriffe mit Molotow-Cocktails und Feuerwerkskörpern müssten "als Mordversuch auf Polizeibeamte gewertet" werden, sagte Vizepolizeipräsident Will Kerr. Der protestantische Oranierorden wies jede Verantwortung von sich und machte den Polizeieinsatz mit Wasserwerfern und Plastikgeschoßen für die Eskalation verantwortlich.

In der britischen Unruheprovinz herrscht seit Jahren in der ersten Julihälfte angespannte Atmosphäre. Am 12. Juli gedenken die protestantischen Anhänger der Union mit Großbritannien des Sieges von König William von Oranien in der Schlacht am Boyne. Die katholischen Befürworter einer Vereinigung mit der Republik Irland empfinden die Triumphmärsche als provokativ. Um die Bevölkerungsgruppen zu befrieden, versucht seit 1998 eine Kommission beiderseits akzeptable Lösungen zu finden.

Das ist in diesem Jahr wieder einmal gründlich misslungen. Die Route eines Marsches durch die Hauptstadt Belfast wurde so festgelegt, dass katholische Stadtviertel nur einmal vom klingenden Spiel der loyalistischen Kapellen belästigt werden würden. Weil der Oranierorden aber auf der angestammten Strecke sowohl hin- wie zurückmarschieren wollte, kam es an der Woodvale Road rasch zur Eskalation. Prominentestes Opfer der Ausschreitungen war der Vizechef der nordirischen Regierungspartei DUP, Nigel Dodds. Der Unterhausabgeordnete wurde von einem Ziegelstein getroffen und musste bewusstlos ins Krankenhaus gebracht werden.

Mehrheit will Frieden

Dodds' Protestantenpartei sowie die katholische Sinn Féin, einst politischer Arm der Terrortruppe IRA, arbeiten im Landtag von Stormont überwiegend vertrauensvoll zusammen. Sie vertreten die Mehrheit der 1,8 Millionen Nordiren, die sich 15 Jahre nach Abschluss des Karfreitagsabkommens am Frieden freuen. Doch leben in den Arbeitervierteln, wo es weder Jobs noch Hoffnung auf eine bessere Zukunft gibt, viele Menschen, die von einer "Friedens-Dividende" wenig spüren. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt dort bei 40 Prozent.

In den protestantischen Vierteln von Ost-Belfast, wo sich mehrere Generationen von wenig mehr als patriotischen Gefühlen ernähren, rührt der Streit zudem an tief sitzende Ängste. Mit der einstigen Hegemonie ist es längst vorbei, auch die Bevölkerungsmehrheit ist bedroht: Dem Statistikamt zufolge bekennen sich noch 48 Prozent der Nordiren zum protestantischen Glauben, 43 Prozent sind Katholiken, der Rest legt sich nicht fest. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 16.7.2013)