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Massud Barzani wurde am 7. Juli von Premier Nuri al-Maliki empfangen

Foto: REUTERS/Azad Lashkari

Ein Staatsoberhaupt, das nicht zu mächtig ist und dessen Amtsperioden begrenzt sind: Das steht auf dem Programmzettel von Ländern, die sich auf den Weg zur Demokratie machen, im Nahen Osten oder anderswo. Es gibt Länder – oder in unserem Fall "Bundesländer", denn die Rede ist vom kurdischen Autonomiegebiet im Nordirak –, die bewältigen die Transition zu einem neuen System besser als andere. Umso trauriger ist es, wenn der Eindruck entsteht, dass auf halbem Weg kehrt gemacht wird. Die Begründung ist immer die gleiche: Die Umstände verlangen es.

Kurz gesagt: Der kurdische Regionalpräsident Massud Barzani hat es sich anders überlegt und will doch nicht nach zwei Amtsperioden im August 2013 abtreten, wie es das derzeitige Wahlrecht vorsieht. Die 2009 vom Parlament verabschiedete, allerdings nie ratifizierte kurdische Regionalverfassung würde ihm ab ihrem Inkrafttreten noch eine Wiederwahl gestatten. Mit dem Hinweis darauf, dass an der Verfassung weiter gearbeitet werden muss, hat das kurdische Regionalparlament in Erbil seine eigene Legislaturperiode um ein paar Monate verlängert, die von Barzani allerdings gleich bis 19. August 2015. Und wer weiß, wie viele weitere Amtsperioden für den Präsidenten die Verfassung dann vorsehen wird. Barzani wird im August 67 Jahre alt, da geht sich schon noch etwas aus.

Die Parlamentssitzung, in der die Verschiebungen beschlossen wurden, fand schon am 30. Juni statt und endete in einer mittleren Prügelei, Fäuste und Wasserflaschen flogen. Die Oppositionsparteien, die ja im Prinzip auch wollen, dass das Wahlrecht noch einmal überholt wird, fühlten sich vom nicht mehr so mächtigen wie früher, aber immer noch übermächtigen Block der zwei traditionellen Kurdenparteien KDP (Kurdische Demokratische Partei) und PUK (Patriotische Union Kurdistans) überrollt, die alles, was sie wollen, mit ihrer Mehrheit durchboxen. Genereller Ärger besteht auch bei der parlamentarischen Opposition, weil Barzani die Frage, ob er seine eigene Amtsverlängerung unterschreiben würde, mit Kleingruppen und Kräften außerhalb des Parlaments zu diskutieren gedachte, um besser auf die „öffentliche Meinung“ eingehen zu können: Bei dem klientelistischen Netzwerk der KDP und der Barzanis läuft das nur auf eine Machtkonsolidierung hinaus, außerhalb des Parlaments, das an Bedeutung verliert. Es hat 2005 den Präsidenten noch gewählt, 2009 gab es bereits eine Volkswahl. Eine der Fragen, die die Juristen beschäftigt, ist deshalb, ob das Parlament überhaupt das Recht hat, die Amtszeit des Präsidenten zu verlängern.

Auf Meta-Ebene ist das Argument für solche Manöver natürlich immer die Stabilität, die Oppositionsparteien verweisen jedoch auf Korruption und Nepotismus in Kurdistan, die die zarten demokratischen Strukturen in ihren Anfängen erstickt. Der Protest dagegen hat ja auch die stärkste Oppositionspartei, die PUK-Abspaltung Gorran (Wechsel), hervorgebracht. Die anderen kurdischen Parteien im Parlament sind – bis auf die der ethnischen und religiösen Minderheiten – meist islamistisch (und haben auch lautstark den Sturz des Muslimbruders Mohammed Morsi in Ägypten beklagt).

Die PUK ist durch den Ausfall ihres Führers – des irakischen Staatspräsidenten Jalal Talabani, der seit Dezember 2012 nach einem schweren Schlaganfall in Deutschland in einem Krankenhaus liegt – geschwächt, sie hat den KDP-Wünschen nichts entgegenzusetzen. Die Zukunftsfähigkeit der PUK, die ja eine KDP-Abspaltung ist, wird von manchen Beobachtern angezweifelt. Der starke Mann der PUK ist momentan eine Frau: Talabanis Gattin Hero Ibrahim Ahmed. Auch Talabanis Sohn Qubad wurde aus Washington zurückgerufen. Gegen diese Übermacht der Familie in der PUK wendet sich der frühere kurdische Premier der kurdischen Regionalregierung, Barham Salih, der international gut vernetzt ist.

Barzani – der auch unter den syrischen Kurden vermittelt und die nordirakischen Beziehungen zu Ankara gut managt – absolvierte soeben einen Europa-Trip. Vorher war er jedoch zum ersten Mal seit drei Jahren in Bagdad, ein Versuch, das zuletzt dramatisch schlechte Verhältnis zur Regierung in Bagdad, namentlich zum irakischen Premier Nuri al-Maliki, zu reparieren (der seinerseits vorher nach Erbil kam). Einmal mehr wurde beschlossen, die großen kurdisch-arabischen Fragen bald anzugehen: das Management der Ölressourcen in der Kurdenregion, wobei die Kurden volle Autonomie beanspruchen. Neuer Ärger könnte durch die neue Pipeline der Kurden an die türkische Grenze entstehen, wenn sich Erbil und Bagdad nicht bald einigen. Der größte Brocken bleibt die Zukunft der Stadt Kirkuk und der zwischen Kurden und Arabern umstrittenen Gebiete, für die die irakische Verfassung von 2005 ein Referendum vorsah, das nie stattfand.

Maliki ist nicht weniger als Barzani ein Machtmensch: Vonseiten der Kurden musste er sich seit 2010 immer wieder Vergleiche mit Saddam Hussein gefallen lassen. Er selbst muss sich übrigens mit keinem irakischen Präsidenten herumschlagen: erstens ist das Amt verfassungsmäßig eher schwach, zweitens ist, wie bereits gesagt, Talabani ausgefallen. Der sunnitische Vizepräsident Tarik al-Hashimi ist wegen Terrorismusbeihilfe zum Tod verurteilt und lebt in der Türkei, bleibt ein schiitischer Vizepräsident, Khodair al-Khozaie, von dem man wenig hört. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 12.7.2013)