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Der Kraftlackel als hinfälliger Mann: Peter Simonischek, seit dem Vorjahr der Jedermann, auf den Treppen vor dem Dom (Bühne: Marlene Poley) mit Susanne Schäfer, des Schuldknechts Weib, im Hintergrund.

Foto: Reuters/ Foeger
Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes findet jetzt auch zur Schlafenszeit statt: "Jedermann" kann, seiner endlichen Grablegung zum Trotz, nicht zur ewigen Ruhe kommen. Christian Stückls Generalüberholung aus dem Vorjahr trägt Züge einer zum Äußersten entschlossenen Halbherzigkeit.

Salzburg - Wie manche Reform auf Salzburgs mit Mammon gepflastertem Festspielboden, so trägt auch Christian Stückls Generalüberholung des Jedermann auf dem Domplatz Züge einer zum Äußersten entschlossenen Halbherzigkeit. Weil Jedermann (Peter Simonischek) grässlichste Todesangst leidet, steht ihm pünktlich jene Bußfertigkeit zu Gebote, die er eben noch mit heiserer Geschäftigkeit brüsk von sich gewiesen hat.

Es mag daher zu den ernüchternderen Aspekten von Stückls Reformwerk zählen, dass es einem Moribunden mit allerlei Schönheitspflästerchen und moralphilosophischen Tinkturen zu Leibe rückt - vor der Schmockerei aus Hofmannsthals spätkatholischer Dramenanstalt aber sozusagen klein und versagensängstlich beigibt.

Stückls pfundige Idee, Gott den Herrn zu einem von fern jüdisch wirkenden Bettelmönchlein (Peter Fitz) herunterzukürzen, lebt von derselben gebremst aufklärerischen Debattierlust, mit der die altrosa Buhlschaft (Veronica Ferres) entgegen dem Urtext Jedermanns Katzenjammer fast bis zu seiner Entsühnung beiwohnt.

Liegt es am nunmehr um 20.30 Uhr herabfallenden Samtmantel der Nacht, dass Simonischek, dieser hochmoderne, seine Heldengestalt von innen her zersetzende und abwetzende Kraftschauspieler, von Anfang an gereizt wirkt? Als überfiele ihn in Gesellschaft der Knittelversaufsager das eine oder andere Zipperlein; als müsse man angesichts der zanklustigen Queen Mum als Betmutter (Jennifer Minetti) schier am üppigen Leben verzweifeln. Als wäre auch noch das Sterben eine Dienstleistung am eigenen Nimbus des Kraftlackels als hinfälliger Mann.

Dergleichen atmet, verdruckst und inwendig vermurkst, einen Hauch von Modernität. Und wäre, wie Jens Harzers lehmgrauer Tod mit der rasselnden Stimme eines wiederauferstandenen Pharaos, dazu geeignet, die falsche Ergriffenheit, die hohle Moralität dieser unfrommen Ablasshandelstreiberei vom Sockel zu stürzen. Jedermann kann, seiner endlichen Grablegung zum Trotz, nicht zur ewigen Ruhe kommen. Er muss so lange um- und untergehen, bis nicht bloß die Tafel unter Feuerblitzen zusammenbricht, sondern ein ganzes Weltbild zuschanden geht. Derweil muss man mit Stückls Reform eben irgendwie vorlieb nehmen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 28.7.2003)