Paul Haber ortet bei der 100. Tour de France "eine große Perversion".

Foto: Hakoah

Mont-Saint-Michel/Wien - "Abgehoben und fast nicht mehr vorstellbar!" So muten laut Paul Haber, dem Wiener Sportmediziner und Präsidenten der Hakoah, viele Leistungen im Spitzensport an. Siehe Tour de France, siehe Christopher Froome, der am Mittwoch als Zweiter im 33-Kilometer-Einzelzeitfahren nach Mont-Saint-Michel seine Gesamtführung ausbaute. Haber will "andere Worte wählen" als der französische Sportwissenschafter Antoine Vayer, der Froome in den Pyrenäen mit einem "Mutanten" verglichen hatte. Aber: "Was hier geleistet wird, ist die absolute Grenze dessen, was für die Spezies Homo sapiens möglich ist."

Haber stellt gerade wieder bei der 100. Auflage der Tour "eine große Perversion" fest. Einerseits würden die Veranstalter von den Radprofis "Leistungen fordern, die ohne medizinische Hilfe kaum möglich sind". Belege dafür liefert etwa die 15. Etappe am 14. Juli, die nach 242,5 Kilometern auf dem überaus steilen Mont Ventoux endet, oder die 18. Etappe am 18. Juli, die gleich zweimal den Anstieg nach Alpe d'Huez vorsieht. Andererseits werde schärfstens kontrolliert und sei Doping ein strafrechtliches Delikt, "weil es denselben Veranstaltern um ihr Image geht".

Es ist nicht primär die medizinische Sicht, die Haber zum Dopinggegner macht. "Rauchen ist oft gefährlicher." Allerdings sei im Spitzensport viel Geld im Spiel, Doping also "eine Art Betrug, vergleichbar vielleicht dem Insiderhandel an der Börse". Wobei Haber durchaus differenziert und sich fragt, ob einige Anti-Doping-Vorschriften, denen sich Sportler zu beugen hätten, nicht Menschenrechte verletzen. "Im Sport gelten Regeln, die sonst nirgends akzeptiert werden würden." Dass Sportler angeben müssten, wo sie sich zwecks etwaiger Dopingkontrolle in drei Monaten aufhalten werden, "erinnert fast an die elektronische Fußfessel".

Dass Christopher Froome nach der Übernahme des Gelben Trikots kürzlich neben "hundertprozentiger Sauberkeit" versicherte, seine Resultate würden auch "in zehn oder zwanzig Jahren noch gelten", quittiert Haber mit einem Lächeln. "Genau dasselbe hat vor zehn Jahren wahrscheinlich Lance Armstrong versichert." Doch sei im übrigen auch Armstrong respektive die Aberkennung seiner Erfolge ein Indiz dafür, "dass der Sport eine Exklave des Rechtsstaats wird". Schließlich hätten sowohl der Weltradsportverband, der Armstrong 2012 alle sieben Tourtitel, als auch das IOC, das dem Texaner 2013 eine olympische Bronzemedaille von 2000 wegnahm, Verjährungsfristen außer Acht gelassen. "Ich meine", sagt Haber, "was länger als sieben Jahre zurücklag, hätte als verjährt gelten müssen."

Ein Schluss liegt nahe

Viele Jahre zurück liegen auch viele Weltrekorde in der Leichtathletik. Haber: "Ich will niemanden beschuldigen. Aber speziell in den Sportarten, die überwiegend von Kraft abhängen, sind viele Weltrekorde bereits mehr als zwanzig Jahre alt. Daraus muss jeder seinen persönlichen Schluss ziehen. Und mein persönlicher Schluss lautet: In diesen Disziplinen beruhen die Weltrekordleistungen auf Doping." (Fritz Neumann, DER STANDARD, 11.7.2013)