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Erich Lessing bei seiner aktuellen Fotoausstellung in Maribor.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

"Um ein gutes Foto zu machen, braucht man zwei Augen", sagte Erich Lessing einmal im APA-Gespräch, "und Augen sind entweder begabt zum Sehen oder nicht." Die Augen des österreichischen Fotografen gehörten in der Nachkriegszeit zu den begabtesten der Welt, mit seinem Fotoapparat hat er Weltgeschichte und -geschichten festgehalten: den Ungarn-Aufstand, das jüdische Osteuropa, die Zeit des Wiederaufbaus im Kommunismus. Die Bilder von Lessing gingen um die Welt, seine Porträtaufnahmen großer Politiker wie Eisenhower oder Chruschtschow sowie wichtiger Künstler wie Herbert von Karajan machten ihn weltberühmt. Am Samstag (13. Juli) feiert der Meister der Reportage und der inszenierten Dokumentation seinen 90. Geburtstag.

Mit einer Digitalkamera kann man dem Jubilar vermutlich keine allzu große Freude machen. "Ich gehe immer wieder zu analog zurück", gestand er im Interview, das digitale Zeitalter macht ihm eher Sorge. "Der Fotograf mit der Digitalkamera hebt heute nur das auf, was sein Chef oder er selber in diesem Augenblick braucht. Speicherplatz ist teuer, das meiste wird gelöscht. Wir beginnen jetzt eigentlich in einer Zeit der Dokumentationsnot zu leben", ortete Lessing eines der großen Probleme unserer Zeit. Das Dokumentieren von zeitlichen Strömungen hat der Fotografie-Doyen vielleicht deshalb auch selbst begonnen: mit einer eigenen Galerie in der Wiener Innenstadt, wo er Aufnahmen aus seinen 70 Arbeitsjahren in thematischen Ausstellungen präsentiert.

Lebenslauf

Erich Lessing wurde am 13. Juli 1923 als Sohn eines Zahnarztes und einer Konzertpianistin in Wien geboren. 1939 emigrierte er nach Palästina, studierte in Haifa Radiotechnik und arbeitete als Karpfenzüchter in einem Kibbuz. Bereits als Kind interessierte sich Lessing für die Fotografie, bekam mit 13 Jahren seinen ersten Fotoapparat und hat seine Kenntnisse jedoch "selbst gelernt". Als Erwachsener fand er zu diesem Hobby zurück und verdiente damit sein Geld. Zuerst arbeitete Lessing als Kindergarten- und Strandfotograf, während des Krieges wurde er bei der Britischen Armee als Fotograf verpflichtet. Nach Kriegsende kehrte der nun 24-Jährige nach Wien zurück und lernte seine spätere Frau Traudl kennen.

Diese arbeitete als Journalistin bei der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press, für die auch Lessing fortan als Fotoreporter wirkte. Nebenbei arbeitete er als freier Fotograf für Zeitschriften wie "Life", "Paris Match" oder "Fortune". 1951 stieß Lessing zur Magnum Agentur, die vier Jahre zuvor von Robert Capa, George Rodger, David Seymour und Henri Cartier-Bresson in Paris gegründet wurde. Das Kollektiv wollte mit seinen Arbeiten die Ereignisse auf der Welt dokumentieren und damit das Bewusstsein der Menschen schärfen. Die Mitarbeiter sahen sich selbst dabei jedoch als Künstler und Reporter. Die Agentur Magnum verwaltet auch heute noch Lessings umfangreiches "Culture and Fine Arts Archive" in Paris.

Politischer Fotojournalist

Zwei der Gründer, Robert Capa und David Seymour, kamen in den 50er Jahren bei ihrer Arbeit als Fotojournalisten ums Leben. Lessing dokumentierte zu dieser Zeit die politischen Ereignisse im Nachkriegs-Europa. Die von Lessing geschossenen Bilder, wie vom Besuch Charles de Gaulles in Algerien oder der Unterzeichnung des österreichischen Staatsvertrags am Balkon des Belvedere, sorgten weltweit für Aufsehen, mit seinen Porträts kam er zu großem Ansehen. Seit den 60er Jahren inszenierte der Kunstfotograf mit seinen, von ihm als "Erzählfotos" bezeichneten Arbeiten, historische Persönlichkeiten wie Musiker, Poeten oder Physiker. Einen kompletten Satz seiner Farbfotografien schenkte Lessing dem Bildarchiv der Nationalbibliothek.

Zehntausende Aufnahmen entstanden im Verlauf seiner Karriere, viele davon haben in über 60 Büchern und Ausstellungen auf der ganzen Welt ihr Publikum gefunden. Gemeinsam mit Harry Weber und Franz Hubmann bildete er das große Triumvirat der österreichischen Fotografie. Er erhielt den American Art Director's Award, den französischen "Prix Nadar" oder den Dr.-Karl-Renner-Preis. 1998 wurde Lessing mit dem Großen Österreichischen Staatspreis für Künstlerische Fotografie ausgezeichnet. Seit Lessing 1973 den Berufstitel Professor trägt, hat er an Orten wie der Biennale Venedig, Arles oder der Salzburger Sommerakademie unterrichtet. Die letzte große Personale war Lessing 2006 im Leopold Museum gewidmet.

Ausstellung in Maribor

Von Müdigkeit ist bei Lessing auch im 90. Lebensjahr scheinbar keine Spur. Er ist seit vielen Jahren in der Jury des von der APA mitinitiierten Pressefotografie-Preises "Objektiv" und war noch im vergangenen Jahr mit einer Ausstellung zur Geschichte Europas seit 1945 in Maribor zu Gast. Den Geburtstag selbst wird er dagegen wohl nicht allzu groß feiern, denn davon halte er nichts, beschied er immer wieder. "Das ist ein Tag wie jeder andere auch." Ein Tag in einer neunzig Jahre umfassenden, beeindruckenden Biografie. (APA, 10.7.2013)