Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: APA/Daniel Reinhardt

Wien - Der Ausstieg Deutschlands aus der Atomkraft, der nach Fukushima eingeleitet wurde und bis 2022 abgeschlossen sein soll, berührt schon jetzt Österreich und andere Nachbarländer massiv. Bei starkem Wind an Nord- und Ostsee, wo Windräder dann entsprechend viel Strom produzieren, spürt man das auch bei der für das Übertragungsnetz zuständigen Austrian Power Grid (APG). Wenn beim Umbau des Energiesystems nicht koordinierter vorgegangen wird, könnte es für die APG zu einer permanenten Anstrengung werden, unerwünschte Lastflüsse fernzuhalten, sagen Experten.

So gab es etwa Ende Jänner an einem windreichen Tag einen ungewollten Stromimport von nicht weniger als 4500 Megawatt (MW), das ist mehr als die Hälfte der österreichischen Spitzenlast. Zum Schutz des heimischen Stromnetzes wurde damals der Intraday-Handel gestoppt. Damit wollte man weiteren Importen vorbeugen. Außerdem wurden Revisionsarbeiten an Leitungen ausgesetzt und Kraftwerke gezielt hochgefahren, um die Stabilität im Netz zu garantieren - alles Arbeiten, die mit Unannehmlichkeiten, Kosten und darüber hinaus auch mit Risiko verbunden sind.

"Wir brauchen im Energiebereich mehr Koordination in Europa", sagte der Geschäftsführer der E-Control, Martin Graf. Er ist mit Wolfgang Ruttenstorfer, dem früheren Finanzstaatssekretär und Ex-OMV-Chef, sowie Patrick Horvath von der Denkfabrik Wiwipol Herausgeber des soeben erschienenen Buches Powerlines, Energiepolitische Entwicklungslinien Europas (New Academic Press).

Vieles zu tun

Einiges sei bereits geschehen, beispielsweise die Vorschreibung gleicher, verbindlicher Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel. Vieles aber bleibe noch zu tun, nicht nur im Strombereich.

Die nun anstehende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) in Deutschland, mit der nach den Bundestagswahlen im Herbst zu rechnen sei, strahle auch auf andere Länder aus, wegen des gemeinsamen Strommarktes speziell auch auf Österreich. Die verantwortlichen Stellen müssten sich deshalb verstärkt in die Debatte einbringen, damit das Gesetz am Ende auch ein bisschen in rot-weiß-roten Farben strahle.

"Man muss nichts neu erfinden, es gibt genug Best-Practice-Beispiele", sagte Graf. Zu hinterfragen sei freilich, ob der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien immer und überall gelten müsse.

Wie eine Gesellschaft tickt, zeigt sich auch an der Wertigkeit von Sachen. "Als ich 1976 bei der OMV als Referent für Energiepolitik begonnen habe, stand die Versorgungssicherheit ganz oben auf der Agenda - Folge der Ölkrise", sagte Ruttenstorfer. "Dann rückten grüne, ökologische Themen in den Vordergrund. Jetzt geht es vermehrt um Wettbewerbsfähigkeit."

Der frühere OMV-Chef sieht Europa, was das betrifft, auf einem gefährlichen Weg. Zwar lasse sich der Schiefergasboom, der den USA zu unschlagbar günstiger Energie verholfen hat, in Europa nicht wiederholen. Durch eine Differenzierung der Gasversorgung über verschiedene Pipelines ließe sich aber das Preisniveau senken, was wiederum der Industrie helfe und die Arbeitsplatzsituation verbessere.

Ruttenstorfer bedauert, dass die kürzlich zu Grabe getragene Gasleitung Nabucco, die noch von ihm initiiert wurde, nicht mehr Unterstützung erfahren hat. (Günther Strobl, DER STANDARD, 10.7.2013)