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Junge Kadetten bei Fechtübungen mit dem Säbel. Waffenkunde ist immer noch ein wichtiges Unterrichtsfach an den Kosaken- akademien wie hier in Rostow am Don.

Foto: AP Photo/Misha Japaridze

Eigentlich sollten die Schwarzmeerkosaken zur Visitenkarte der Olympischen Winterspiele 2014 werden. Eine Ehrengarde sollte die Olympiagäste in Sotschi begrüßen. In ihren schwarzen Paradeuniformen, den roten Umhängen, dem kurzen Dolch im Gurt und den blitzenden Orden und silbernen Patronentaschen, ja selbst mit der wuscheligen Fellmütze auf dem Kopf hätten sie sicher Eindruck gemacht. Doch der Auftritt schwebt nun in der Luft, denn die Kosaken in Sotschi meutern.

Auslöser war die Verlegung einer Starkstromleitung direkt über den Dächern einer Kosakensiedlung in Sotschi. Die Bewohner wehrten sich gegen den ungesetzlichen Bau und gerieten in eine Rangelei mit der Polizei. Konsequenz: Die Ehrengarde wurde aufgelöst. "Diese Kosaken waren bei städtischen Einrichtungen angestellt. Als wir gegen die Energetiker vorgingen, hat die Stadtverwaltung sie entlassen", klagt Sotschis Ataman (Oberhaupt) Igor Potechin.

Potechin ist eigentlich auch nicht mehr Ataman. Krasnodars Vizegouverneur Nikolai Doluda, zugleich Ataman der Kosaken im Kuban, ließ ihn 2012 kurzerhand absetzen, weil er zu viele Fragen zum Verkauf einer angeblich bankrotten Sowchose stellte. Doch Sotschis Kosaken stellten sich stur und wählten Potechin wieder. Als Antwort ließ Doluda eine konkurrierende Kosakenorganisation in der Stadt gründen.

Dass Kosaken mit der Obrigkeit streiten, ist ein fast einmaliger Vorgang in der jüngeren Geschichte. Seit sich die zu Sowjetzeiten unterdrückten Kosakenverbände in den 1990er-Jahren wiedergegründet haben, verstehen sie sich als patriotisch, staatstragend und streng orthodox.

In beiden Tschetschenienkriegen haben viele Kosaken als Freiwillige gedient. Und als unter Präsident Wladimir Putin eine eigene Kosakenverwaltung eingerichtet wurde, verwandelten sich viele Nachkommen der einst wilden und aufsässigen Reiter in treue und bezahlte Staatsdiener, die wahlweise zu Unterstützerdemos für Putin (so geschehen im Wahlkampf 2012) oder als paramilitärische Einheit zum Patrouillieren vor orthodoxen Kirchen zusammengetrommelt werden können.

Disziplin, Religion, Tradition

Ordnung und Disziplin ist das Motto, das schon den jungen Kadetten auf den Kosakenakademien eingetrichtert wird. Auf dem Lehrplan stehen dort auch Waffenkunde, Religion, Geschichte und Kultur der Kosaken. Mit dem Fokus auf Disziplin und Tradition "ist das Kosakentum von seiner Ausrichtung her den maskulinen Kulturen des Nordkaukasus ähnlich", befindet Anton Serikow, Dekan an der Uni Rostow und Leiter eines Forschungsprojekts über die Stellung der Kosaken. Im Gegensatz zu den Kaukasiern haben sich die Kosaken, auch wenn viele sich als eigenes Völkchen fühlen, aber nie den Russen entgegengestellt.

Trotz seiner Bindung zum Kreml steht das Kosakentum dabei nicht für Unterwürfigkeit und blinden Gehorsam. Viele demokratische Traditionen in Russland seien mit den Kosaken verbunden, erinnert Serikow. So ist der Ataman eine Wahlfunktion. Daneben entscheiden die Kosaken seit Jahrhunderten viele Alltagsfragen auf dem Maidan - bei einer Volksversammlung in freier Abstimmung.

Zudem gibt es deutliche Unterschiede zwischen den sogenannten Register-Kosaken, also jener rund eine Million Kosaken, die in einem offiziellen Register eingetragen sind und oft Verwaltungsposten besetzen, und den einfachen Menschen in Südrussland, von denen sich viele auch als Kosaken fühlen. "Allein in der Don-Region Rostow könnte es davon rund eine Million geben", schätzt Serikow und zählt sich selbst auch dazu. In der Nachbarregion Krasnodar dürften es ebenso viele sein. Auch im Kaukasus gibt es noch viele. Die Ansichten dieser Menschen sind so vielfältig wie ihre Berufe und Lebenslagen.

Ein Seelenzustand

Was sie eine, sei eine "ganz bestimmte Lebenseinstellung, ein Seelenzustand", sagt Anatoli Sarezkow. Sarezkow ist erfolgreicher Medienunternehmer mit einem eigenen TV-Kanal in der Millionenstadt Rostow am Don. "Heute können sich Kosaken eben nicht mehr ein Fell überziehen, sich aufs Pferd schwingen und durch die Steppe reiten", erklärt der 62-Jährige. Viele seiner Sendungen drehen sich um die Wiedergeburt des Kosakentums in Südrussland. Als gesellschaftliche Bewegung sieht er Zukunftspotenzial für die Kosaken. Auch der Konservatismus brauche eine Stimme, und die Kosaken seien mit ihrem Fokus auf Traditionen für die Rolle prädestiniert. (André Ballin aus Rostow/Sotschi, DER STANDARD, 9.7.2013)