Beim Bundeskongress der Zeugen Jehovas in Wien wurde am Wochenende auf Deutsch, Serbokroatisch und Englisch gepredigt.

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Gemeinsames Beten der Zeugen Jehovas im Ernst-Happel-Stadion.

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Anstellen für die Taufe.

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Die Sonne brennt erbarmungslos auf den grünen Rasen des Ernst-Happel Stadions im Wiener Prater nieder. Fast zehntausend Menschen haben sich hier versammelt, doch es ist erstaunlich ruhig auf den Besucherrängen. Dort, wo sonst geraucht und getrunken wird, angefeuert und ausgepfiffen, sitzen an diesem Wochenende Menschen aller Altersgruppen und aller Nationalitäten, um in drei Sprachen andächtig die eine Wahrheit anzuhören.

Zur Wahrheit finden

"Unser Herz wird durch das schlechte Gewissen vom Bösen gereinigt", sagt der Mann, der auf der Bühne steht und immer wieder ein "wir" in den Mund nimmt, dem sich offenbar all diese Menschen zugehörig fühlen. Die meisten halten Bibeln in den Händen, denen man ansieht, wie intensiv sie schon gelesen wurden. Die Worte des Sprechers werden aufmerksam am Textrand notiert.

"Die Anklage des schlechten Gewissens hilft uns, zur Wahrheit zu finden", sagt der Mann, in den anderen Teilen des Stadions tun seine Kollegen es ihm nach, auf Serbokroatisch und Englisch. Zur Wahrheit finden, sagen sie, heißt das Wort des Herrn annehmen. Und das geschieht durch die Taufe - zum Zeugen Jehovas.

Fünftgrößte Glaubensgemeinschaft Österreichs

In Österreich kommt ein Zeuge Jehovas auf 401 Einwohner, schreibt die aktuelle Mitgliederstatistik der Mitgliederzeitschrift "Der Wachtturm". Mit ungefähr 21.000 "Verkündigern" bilden die Zeugen Jehovas die fünftgrößte Glaubensgemeinschaft Österreichs. Die österreichische Zeugenschaft wächst jährlich um ein bis zwei Prozent, im Wesentlichen durch die Taufen, die Jahr für Jahr auf Kongressen in ganz Österreich zelebriert werden.

Die seit 2009 staatlich anerkannte Religionsgemeinschaft veröffentlicht jährlich Statistiken über ihre missionarischen Erfolge. Weltweit, so schreibt der "Wachtturm", hätten die Zeugen mehr Mitglieder als die Schweiz Einwohner, in der Stunde würden im Durchschnitt 30 Menschen getauft.

Immer wieder in der Kritik

Jedes Jahr touren die Kongresse der Watchtower Society durch die ganze Welt, allein im deutschsprachigen Raum gibt es mehr als 60 Stationen. Das Kongressmotto 2013 lautet "Gottes Wort ist Wahrheit", wichtigster Programmpunkt sind die Taufen. Weil bei den Zeugen Jehovas Bluttransfusionen verboten sind, Ausstiege oftmals mit der völligen Isolation von der gläubigen Gemeinschaft einhergehen und weil viele die Missionierungspraxen der Zeugen als aufdringlich empfinden, stehen Letztere immer wieder in der Kritik.

"Lebenswandel auf sehr hohem Niveau"

"Zeuge Jehovas werden ist nicht leicht", sagt Pressesprecher Hannes Weinberger, "die Gemeinschaft verlangt einen Lebenswandel auf sehr hohem Niveau." Weinberger ist 55 Jahre alt und seit 25 Jahren Zeuge. Früher, sagt er, hat er in einer Rockband gespielt und in einer Bar gejobbt. "Da saßen am Abend Leute am Tresen, die hatten einfach alles. Aber sobald sie zu trinken und zu erzählen begannen, erkannte ich: Die sind alle unglücklich. Also habe ich einen anderen Weg eingeschlagen." Die Zeugen Jehovas akzeptieren keine Beziehungen ohne Ehestatus, keinen Tabak- oder übermäßigen Alkoholkonsum, sie erwarten eine gepflegte Sprache und gepflegtes Auftreten.

Auf den Kongressbühnen wird das eindrucksvoll in fingierten Streitgesprächen und vorgetragenen Mitgliederbiografien veranschaulicht. Schwester P. aus Wiener Neustadt beispielsweise erzählt, wie unglücklich sie in ihrem früheren Leben war. Sie war unverheiratet in einer Beziehung, und ihr Leben war "durch und durch sinnlos". Jetzt, da sie Zeugin Jehovas ist, sei sie frei: "Diese Freiheit ist für mich einzigartig, es ist die wahre Freiheit." Auch Bruder F. hat seine Geschichte zu erzählen. Vor Jahren war er unter Alkoholeinfluss oftmals in Schlägereien verwickelt, der Prediger fragt, wie sich sein neues Leben anfühlt. "Es war ein langer Weg, bis ich die Kraft hatte, keinen Alkohol mehr zu trinken. Es ist ein Wunder, was Jehova an mir vollbracht hat."

Weltweit 290.000 Gläubigentaufen im Jahr

Höhepunkt der Lebensänderung ist die Taufe. Den veröffentlichten Zahlen des "Wachtturm" zufolge münden die intensiven Missionierungspraktiken der Zeugen Jehovas in weltweit etwa 290.000 Gläubigentaufen im Jahr. Die Zeugen Jehovas sind nach eigenen Angaben eine der am schnellsten wachsenden Glaubensgemeinschaften der Welt. Vor allem in Osteuropa und in den Entwicklungsländern wachsen die Mitgliederzahlen stetig.

Bei der diesjährigen Taufzeremonie lassen sich 55 Menschen taufen, der jüngste Täufling ist ein zehn Jahre altes Mädchen. "Die Taufe ist Symbol eines neuen Lebensabschnittes", sagt Weinberger. "Bei unserer Taufe wird man ganz untergetaucht. Das zeigt, dass die Getauften wissen, was sie tun - sie sind reif genug."

"An das Vorher habe ich keine Erinnerungen"

Für Christina F. (19)* und Claudia K. (17)* war es dieses Jahr so weit. "Ich bin vor ein paar Monaten zu dem Punkt gekommen, wo ich Jehova auch etwas zurückgeben wollte. Und das war der erste Schritt", sagt Christina, fröstelnd, noch in ein Badetuch gewickelt. "Ich habe die Taufe unglaublich schön gefunden." Auch für Claudia, die in diesem Jahr ihre Matura abgeschlossen hat und nun Kindergruppenbetreuerin werden will, hatte die Taufe große Bedeutung: "Ich bin gerade einfach nur glücklich. Das hat mich Jehova nähergebracht." Bis vor kurzem noch wussten die beiden Freundinnen nicht, dass die jeweils andere sich auch für die Taufe entschieden hat. "Das ist eine sehr persönliche Entscheidung", erklärt Christina, "das macht man in der Regel mit sich allein aus."

Beide sind seit jungen Jahren in der Gemeinde aktiv, das heißt, sie sind auch Teil der missionarischen Aktivitäten der Zeugen Jehovas, der Verteilung der Zeitschriften "Der Wachtturm" und "Erwachet" und der persönlichen Besuche an der Haustür. "Unsere Eltern haben uns schon früher zu den Hausdiensten mitgenommen, das war aber immer freiwillig. Mittlerweile übernehmen wir auch selbst Dienste", sagt Christina.

Anders als ihre Freundin Claudia ist Christina nicht als Zeugin geboren. Ihre Mutter hat sich taufen lassen, als sie sechs Jahre alt war. "Ich bin aber mit der Wahrheit aufgewachsen", sagt sie, "an das Vorher habe ich keine Erinnerungen." (Julia Niemann, derStandard.at, 9.7.2013)