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'Sissi (oder Sisi), Morsi (oder Mursi) ist unser Präsident.

Foto: EPA/MOHAMED ASSADI

Dieser Beitrag muss mit einem Geständnis beginnen. Ich habe in grauer Vorzeit einmal eine arabistische Diplomarbeit geschrieben und veröffentlicht, die sich mehr oder weniger mit dem Morsi-Mursi-Problem befasste: "Zur Wiedergabe arabischer Wörter in den deutschsprachigen Medien. Problematik, Praxis und Lösungsvorschläge". Das perfekte Werk für jemanden, der unter Schlafstörungen leidet. Meine Lösungsvorschläge von damals halte ich heute selbst nicht ein.

Der erste Satz der Einleitung stimmt allerdings noch immer: "Mit Staunen und Kopfschütteln nimmt der Zeitungsleser das Chaos in der arabischen Namensschreibung zur Kenntnis ..." Die Arabisten putzen sich ab, denn sie haben ein perfekt funktionierendes Transkriptionssystem mit Sonderzeichen, die die in unserem Alphabet fehlenden Buchstaben für Konsonanten (zu den Vokalen komme ich gleich) wiedergeben, die es im arabischen Alphabet gibt. In der Zeitung haben wir das erstens nicht, und zweitens würden die Leser und Leserinnen auch nicht verstehen, was etwa mit einem Punkterl oder einem Stricherl unter einem h gemeint ist.

Polysemie

Ich möchte das nicht weiter ausführen, nur so viel: Eines der Probleme besteht darin, dass es im Arabischen von etlichen Konsonanten auch "emphatische" Varianten gibt. Das ss in unserer Schreibweise von Assad bezeichnet einen anderen Buchstaben als das ss in Nasser (Polysemie heißt das). Und in beiden Fällen, Assad und Nasser, handelt es sich im Arabischen überhaupt nur um ein s, nicht um Doppel-s. Da aber im Hochdeutschen ein s zwischen zwei Vokalen stimmhaft ausgesprochen wird und es sich bei den beiden s in Assad und Nasser um stimmlose s handelt, werden sie für gewöhnlich als Doppel-s transkribiert. Da gibt es kein "richtig" oder "falsch", sondern das ist eine Konvention. Die Transkription der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, an die sich die deutschsprachigen Arabisten halten, würde Nasser so transkribieren: N, ein a mit einem Strich darüber (das bezeichnet ein langes a), ein s mit einem Punkt darunter (bezeichnet ein emphatisches s, das sad), ein i und ein r. Und ein Wissenschafter würde dem Nasser auch die erste Hälfte seines Nachnamens geben, nämlich Abd al-.

Kapitel: Vokale

Und mit dem i in Nasser/Nasir sind wir auch bei den Vokalen. Es ärgert manche Leser und Leserinnen so sehr, dass wir Morsi und nicht Mursi schreiben, dass sie den Inhalt gar nicht mehr lesen können. Das ist schade, denn die Aufregung erscheint mir unangebracht. Auch hier wieder ein Geständnis: Ich hatte tatsächlich bei Aufkommen des Namens des nunmehr gestürzten ägyptischen Präsidenten Mursi geschrieben, unsere Korrespondentin Astrid Frefel aus Kairo jedoch Morsi, und die Kollegen und Kolleginnen aus der Außenpolitik haben das so stehen lassen. Ich habe nichts dagegen unternommen und ebenfalls diese Schreibweise übernommen, weil es mir irrelevant erschien (dass die englischen Medien eher zu Morsi tendieren und die deutschsprachigen zu Mursi, ist mir damals nicht aufgefallen, aber es stimmt wahrscheinlich).

Im Arabischen werden die Kurzvokale nicht notiert beziehungsweise nur mit Sonderzeichen für die Vokalisierung (etwa im Koran). Das Arabische kennt nur drei kurze und drei lange Vokalphoneme, a, i, u. Aha, werden Sie sagen, Morsi ist also doch "falsch". Aber: Die arabischen Vokalphoneme unterliegen in ihrer Realisation einer großen Variabilität, das heißt, phonetisch schaut die Lage wieder ganz anders aus als phonematisch. Man nennt diese Varianten "Allophone". Diese Allophone werden durch die Konsonanten erzeugt, zwischen denen der Vokal zu liegen kommt, aber auch durch lokale arabische Dialekte. Am auffälligsten ist das beim Langvokal a, der durch die sogenannte Imala (Neigung) in manchen Dialekten bis zum langen i gehen kann (wobei das auch eine Änderung im Phonemsystem des Dialekts hervorrufen kann, aber jetzt wird es kompliziert).

"Herr Doktor, Sie schreiben sich falsch"

Wenn ein u oder ein i zwischen empathischen oder auch nur neben einem empathischen Konsonanten zu liegen kommt, wird es phonetisch abgedunkelt und klingt dann eher wie o oder e. Bei Nasser ist es das emphatische s in der Mitte, bei Hosni der "stimmlose gepresste laryngale Dauerlaut" h (ein mit Pressartikulation realisiertes h) am Beginn. Im Ägyptischen tendieren aber die kurzen u überhaupt zu o: So wird die Bewegung "Tamarrud" (Rebellion), die nun Mursi/Morsi zu Fall gebracht hat, von den meisten Korrespondenten "Tamarod" oder "Tamarrod" geschrieben (wobei hier das gerollte Doppel-r zur Verdunkelung des u zu o beiträgt). Ein r haben sie in Mursi/Morsi auch, wenngleich kein doppeltes.

Wer jetzt noch dabei ist: Was ich sagen will, ist, dass es nicht um "richtig" oder "falsch" geht, sondern um phonematische oder phonetische Transkriptionen, und dass Transkriptionen ohne Sonderzeichen ohnehin immer nur ein unbefriedigender Kompromiss sind. Wenn wir die Vokale phonematisch treu transkribieren würden, wäre das natürlich auch das Ende des "Mohammed" - Muhammad muss er heißen. Aber was machen Sie dann, wenn sich der Friedensnobelpreisträger ElBaradei selbst hochoffiziell "Mohamed" schreiben lässt - noch dazu mit nur einem m? Gehen Sie hin und sagen, lieber Herr Doktor, Sie schreiben sich falsch? Und Ihr ElBaradei ist ja überhaupt daneben, ab jetzt heißen Sie bei uns "al-Barád'i" oder so ähnlich (der Name enthält nach dem d nämlich ein ayn, und das ist schon überhaupt nicht wiederzugeben ...). Fazit: Ich gebe mich lieber mit Inhalten ab als mit unlösbaren Transkriptionsproblemen. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 8.7.2013)