Eva Illouz
Die neue Liebesordnung
Frauen, Männer und Shades of Grey
Suhrkamp-Verlag 2013
88 Seiten, 8,30 Euro

Foto: Suhrkamp Verlag

Vor genau einem Jahr erreichte der Erfolg des Buches "50 Shades of Grey" von E. L. James seinen Höhepunkt. 70 Millionen Stück wurden bisher weltweit verkauft, keine Kulturseite, kein Feuilleton kam um den Roman über die sadomasochistische Beziehung zwischen einer jungen Frau und einem reichen und hyperpotenten Feschak herum.

Dabei rümpften so manche FeuilletonistInnen ob der niedrigen literarischen Qualität und der platten Story die Nase und schoben den großen Erfolg des Buches schnell mal auf den fehlenden Anspruch des Massenpublikums. Doch die hohen Verkaufszahlen erzwangen auch ernsthafte Auseinandersetzungen mit "50 Shades of Grey". Und weil die Romanheldin Anastasia Steele sich der freiwilligen sexuellen Unterwerfung hingibt, während sie außerhalb des Schlafzimmers dem Emanzipationsgrad einer Durchschnitts-Mitzwanzigerin entspricht, waren auch die Interpretationen von Feministinnen gefragt.

Feuer, das gelöscht werden kann

Ist es ein herber Rückschlag für die Frauenbewegung, wenn ein Liebesroman mit einer im Schlafzimmer dienenden Protagonistin die Herzen von Millionen Frauen höher schlagen lässt? Ausgerechnet die wohl bekannteste Kämpferin an der PorNo-Front, Alice Schwarzer, beantwortete diese Frage mit einem klaren Nein. Trotz ihrer Unterwerfung beim Sex mit ihrem emotional angeschlagenen Lover bleibe Ana ein denkendes und handelndes Subjekt, so Schwarzer. Sie betreibe lediglich ein Spiel mit dem Feuer, das sie "selber löschen kann". Für die Journalistin und "Missy Magazin"-Herausgeberin Sonja Eismann ging die Erzählung in "50 Shades of Grey" feministisch nicht völlig unversehrt über die Bühne. Dabei wären aber weniger die ohnehin nicht besonders gewagten SM-Szenen das Problem, sondern das hohe Ideal der "romantischen Zweierbeziehung um jeden Preis."

Ein Jahr nach dem medialen Interesse legt nun die Kultursoziologin Eva Illouz eine dichte Analyse des Bestsellers vor. Illouz erforscht seit langem, wie Menschen mit dem verbreiteten Ideal der romantischen, dauerhaften Liebe und modernen Anforderungen, wie die der ständigen Selbstoptimierung, umgehen. Eine schwierige Sache, denn während letzteres Autonomie und Souveränität erfordert, verlangen die Vorstellungen von romantischer Liebe nach völliger Hingabe.

Serielle Sexualität versus monogame Liebe

Für Illouz sind populäre Konsumgüter wie "50 Shades of Grey" ein wichtiger Fundus, an dem sich der Umgang mit diversen Widersprüchen des modernen Lebens ablesen lässt. Serielle Sexualität, die einer laufenden Verbesserung bedarf, versus monogame Liebe lautet einer diese Widersprüche. Diese entstehen etwa durch das Erbe der traditionellen Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen, die einen unterschiedlichen Umgang der Geschlechter mit Emotionalität nach sich zog: Während sich auf dem kapitalistischen Arbeitsmarkt emotionale Unabhängigkeit als eine Anforderung an Männlichkeit durchsetzte, verharrten Frauen in ihrer Rolle als Familienarbeiterinnen mit engen sozialen Bindungen.

Ohne die starre Rollenzuordnung früherer Zeiten auch nur eine Sekunde verteidigen zu wollen, sieht Illouz moderne Liebesbeziehungen somit schwierigen Bedingungen ausgesetzt. Dazu kommen die für viele noch suspekten Anforderungen nach Gleichberechtigung, oder, dass sich die Liebe mehr und mehr als Markt organisiert, auf dem "Männer und Frauen in verschiedenen Dimensionen von Status, Besitz, Bildung, aber auch Schönheit und Attraktivität miteinander konkurrieren", schreibt Illouz in "Die neue Liebesordnung". 

Unsicherheiten in Liebesverhältnissen

Womit wir bei der Darstellung des Liebesverhältnisses in "50 Shades of Grey" angelangt wären. Der Roman thematisiert nicht nur die genannten Wider- und Ansprüche, z.B. wenn Anas Liebhaber Christian Grey sich erst eine emotionale Bindung verbietet um sich weiterhin einer seriellen Sexualität hinzugeben, Ana schließlich aber doch mit Haut und Haaren verfällt. Oder wenn Ana immer wieder an ihrem Äußeren zweifelt, angesichts der offenbar enormen Attraktivität von Grey.

Diese Unsicherheiten in Liebesverhältnissen sieht Illouz in "50 Shades of Grey" nicht nur abgebildet, sondern über die Darstellung der sadomasochistischen Sexualität sogar "symbolisch!" - wie sie in einem Interview ganz vehement betonte - aufgelöst.

Und diese Lösung läge in den im Buch so detailliert beschriebenen BDSM-Praktiken, bei denen Ana die Rolle der Beherrschten, und Grey die des Herrschers übernimmt. Damit ein solches Spiel aber funktioniert, so Illouz, muss es von realen sozialen Rollen losgelöst sein. Nur so kann es als Inszenierung funktionieren, die zudem auch autonome SpielerInnen voraussetzt. Anas und Christians Dilemma mit den widersprüchlichen Anforderungen an Liebe und Sex könnten sie, so die These von Illouz, über ihre  BDSM-Praktiken lösen. Denn die Unsicherheit und damit verbundenen Schmerzen könnten im Rahmen eines Spiels kontrolliert werden. Der Erfolg des Buches, resümiert Illouz, liegt also darin begründet, "wie in der sadomasochistischen Beziehung des Romans die Verfassung der Beziehungen zwischen Männern und Frauen in der Spätmoderne mitschwingt".

SM-Praktiken, damit die verschwimmenden Rollen zwischen Männer und Frauen ausgehalten werden können und die romantische Liebe gelingt? Wie der Roman selbst, könnte auch diese These genderpolitische Einwände provozieren. Doch es darf nicht vergessen werden, wo Eva Illouz ansetzt: Bei der Annahme, dass es einen guten Grund für den enormen Erfolg des Buches geben muss, der über Erklärungen wie Marketing oder den "schlechten Geschmack vieler" hinausgeht.

Ausdruck realer Erfahrungen

Erzählungen wie die in "50 Shades of Grey" drücken für viele Leserinnen die Erfahrungen von widersprüchlichen Anforderungen an sie und ihr Liebesleben aus. Und dass das Ganze im Buch über eine sexuelle Praktik ausverhandelt und anscheinend sogar aufgelöst werden kann, liefert einen weiteren guten Grund, zu dem Buch zu greifen. Dass dies vor allem Frauen taten, erklärt Illouz damit, dass sich noch immer vorwiegend Frauen - Verwirrung hin oder her - dem Gelingen sozialer Bindungen und der "Liebesarbeit" widmen.  

Ob das gut oder schlecht ist, ob die romantische Liebe überhaupt gerettet werden soll, noch dazu um jeden Preis, lässt Illouz offen. Sie interessieren lediglich die sozialen Phänomene und die Frage, welche soziokulturellen Entwicklungen bei diesen mitmischen.

Und gerade weil die Rezeption von "50 Shades of Grey" derart von Urteilen geprägt war, die mit der abwertenden Bezeichnung des Buches als "Mommy Porn" seine Leserinnen diffamierten, war der Anspruch von Illouz schon überfällig: zu verstehen. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 7.7.2013)