Bild nicht mehr verfügbar.

Weiter Sendepause für regierungsunabhängiges Staatsfernsehen in Griechenland?

Foto: REUTERS/John Kolesidis

Wow, das ging flott im angeblich reformfaulen Staat Griechenland. Klappe zu: Aus für den öffentlich-rechtlichen Sender ERT. Vorhang auf: Der sogenannte Nachfolgesender Nerit wird aus der Taufe gehoben. Innerhalb von nur drei Wochen glänzt der EU-Mitgliedsstaat Griechenland mit einer, wie es scheint, demokratiefeindlichen Fratze. All dies vordergründig im Namen der von der EU geforderten landesweiten Strukturreform. Ein Schelm, wer bei diesen medienpolitischen Weichenstellungen an Zufälle denkt.

Wir erinnern uns: Bedingung für eine neuerliche üppige EU-Finanzspritze war die längst fällige Einsparung von zumindest 3.000 Posten im personell überwucherten öffentlichen Dienst. Also ein Aus für die jahrelang großzügig gepflegte Polit-Vetternwirtschaft auf Kosten der griechischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Wer jedoch tut gern selbst weit entfernten Familienmitgliedern weh, will gar diese wie ganz normale Bürgerinnen und Bürger ihrer gesicherten Existenz berauben? Also wurde stattdessen in einer Nacht-und-Nebel-Aktion der traditionsreiche Sender ERT eingespart. Öffentlicher Dienst wurde flugs mit öffentlich-rechtlichem Sender gleichgesetzt. Die EU hat ihr Ziel verfehlt, Premier Antonis Samaras seines erreicht. Mit einem Schlag wurde er die kritischen ERT-Geister los und konnte zugleich die beamteten Dienstgeister schonen. Den Schwarzen Peter spielte er der EU zu. Auf der Strecke blieb die Medienfreiheit. 

100 Prozent Staatseigentum

Nerit, voll ausgeschrieben "New Hellenic Radio Internet and TV", soll Ende August auf Sendung gehen. Unterstellt dem griechischen Parlament, ist Nerit zu 100 Prozent als Staatseigentum geplant. Im Aufsichtsrat werden deshalb nicht Geringere als der Finanz-, der Kultur- und ein eigens eingesetzter Rundfunkminister vertreten sein. Ein Hoch der künftigen regierungsunabhängigen Berichterstattung.

Kleiner Schönheitsfehler: Aus welchen Gründen auch immer, die entsprechende Internetdomain nerit.gr hat sich die Regierung nicht gesichert. Laut Auskunft des Institute of Computer Science der Foundation for Research and Technology wurde diese Domain am 13. Juni - also zwei Tage nach dem  ERT-Sendeschluss-Putsch - von einem "unidentified individual" eingetragen. Da hat wohl jemand zufällig Lunte gerochen.

"Dreieck der Sünde"

Reiner Zufall ist auch, dass in Griechenland gerade jetzt die digitalen Sendefrequenzen ausgehandelt werden. ERT als Verhandlungspartner gibt es nicht mehr, Nerit gibt es noch nicht. Naheliegend ist die Vermutung, dass das bisher größte private Medienunternehmen Griechenlands künftig auch den digitalen Markt des Landes beherrschen wird: der Lambrakis-Medienkonzern. Nerit wird bei diesem dann gegebenenfalls untertänig um Frequenzen anfragen müssen.

Mehrheitsbesitzer dieses Medienunternehmens ist übrigens einer der reichsten und einflussreichsten Unternehmer des Landes. Dass er sein gesamtes Einkommen zu Hause in Griechenland versteuert, ist zu hoffen. Wie es heißt, steht er politisch der Partei von Premierminister Samaras nahe. Die politische Opposition spricht von einem "Dreieck der Sünde" angesichts der aktuellen engen Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Medien.

Regierungstreu "eingefärbt"

ERT ist tot, es lebe Nerit, das personell verschlankte Staatseigentum. Ein modernes nationales Medienunternehmen, das nur noch Kurzzeitverträge an die Hälfte der bisherigen MitarbeiterInnen offeriert. Anders gesagt: Wer ideologisch kuscht, darf bleiben, der Sender wird regierungstreu "eingefärbt". Frage: Wo bleibt dann künftig das Recht der Bürgerinnen und Bürger auf regierungsunabhängige öffentliche Informationsfreiheit?

"Chrysi Avgi" - Goldene Morgenröte - nennt sich die demokratiefeindliche, rechtsextreme Partei Griechenlands. Noch ist sie erst die drittstärkste Partei, doch was geschieht, wenn sie im Parlament ausschlaggebendes Mitspracherecht erhält? Wird Nerit als künftiger Staatsender eines EU-Mitgliedsstaates dann Rassismus und Antisemtismus kritiklos das Wort reden, das Wort reden müssen? Was sagt dann die EU dazu?

"Hahnenschrei"

Hoffentlich mehr als der österreichische EU-Kommissar für Regionalpolitik, Johannes Hahn, der anlässlich der Ruck-zuck-Schließung des Senders ERT öffentlich kundtat: "Die Meinungsfreiheit ist dadurch in Griechenland nicht gefährdet." Einerseits habe ERT eine Einschaltquote von nur 13 Prozent, andererseits sei die Maßnahme im Zusammenhang mit der Strukturreform geschehen.

Sind also im "Friedensprojekt" Europäische Union öffentlich-rechtliche Einschaltschaltquoten wichtiger als die in der EU-Menschenrechtskonvention garantierte Informationsfreiheit? Ist dieser "Hahnenschrei" womöglich die Ankündigung einer neuen medienpolitischen EU-Morgenröte? (Rubina Möhring, derStandard.at, 7.7.2013)